Verhinderter Massenmörderzeuger

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Heute wäre er also achtzig geworden; aber das immerhin ist Thomas Bernhard erspart geblieben. Sein Hoffotograf Dreissinger hat fast fünf Dutzend Leute befragt, die ihn kannten, soweit er es zuließ, ihn zu kennen, und ein Buch daraus gemacht. (Was reden die Leute: 58 Begegnungen mit Thomas Bernhard. Salzburg: Müry Salzmann, 2011.) Fünf Jahre hat er, heißt es, darauf verwendet. Das ist doch etwas übertrieben, oder?

Bernhard hat mich mal gepackt, als ich sechzehn war. Zu Ostern in Lugano las ich Frost und Verstörung. Danach war mein eigener Schreibstil auf Jahre hinaus versaut. Zwanghaft musste ich diese monotone Leier imitieren, dieses permutative Genörgele. (Da war ich übrigens in guter Gesellschaft. Der auch schon verstorbene Bernd Mattheus etwa hatte den gleichen Sound drauf, in seiner verschollenen Prosaminiatur Gespräche mit K. von 1974.) Und meinen Mitmenschen ging ich mit finsteren Andeutungen bevorstehender Gewalttaten auf den Wecker, dabei offen lassend, ob ich selbst oder der Rest der Menschheit das Opfer sein würde.

Da ich kein Theatergänger bin, habe ich den vielleicht bedeutenden Teil seines Werkes nicht mitbekommen. Aus Gehen las ich, nurmehr wenig engagiert und sozusagen bloß der Vollständigkeit halber, eine längere Passage am 1. Juni 1995 auf meiner LXIX. Soiree Vom Gehen. Endgültig passé war der Grantler für mich nach dem Erscheinen des Buches über seine Preise vor zwei Jahren. Da konnte man beim besten Willen nicht mehr übersehen, dass sein Ruhm doch zu einem guten Teil auf berechneter Selbstinszenierung gründete. Ausgestellter Größenwahn.

Es ist ja sehr verführerisch, den von den eigenen Feinden Gehassten allzu viel durchgehen zu lassen. Das gilt für meine Generation von Mao bis Mühl. Plötzlich wird man wach und erkennt, dass man Massenmörder und Kinderschänder verehrt hat! Thomas Bernhard war ein Misanthrop, deutschlich gesagt: ein Menschenhasser. Seine Bücher kaufen durften die gehassten aber. Und im Theater klatschen durften sie zur Not auch.

Immerhin zitierenswert, vielleicht als letztes Wort an diesem Ort zu Thomas Bernhard, eine kleine Anekdote aus einem älteren Buch über ihn, die anlässlich der Würdigung seines heutigen Geburtstags in der Zeitung zitiert wurde: „Thomas sagte, wenn er die Garantie hätte, einen Massenmörder zu zeugen, würde er es tun. Ich sagte, mit etwas Besserem wäre bei ihm kaum zu rechnen.“ (Karl Ignaz Hennetmair: Aus dem versiegelten Tagebuch. Weitra: publication PNo1 Bibliothek der Provinz, 1992; hier zit. nach Helmut Schödel: Ein Schlag von hinten auf die Schulter; in: SZ Nr. 32 v. 9. Februar 2011, S. 14.)