Vor dem Fressen die Moral?

duvealbathheidbrink

Das Kulturwissenschaftliche Institut Essen (KWI) und die Buchhandlung proust hatten im Rahmen ihrer erfolgreichen Veranstaltungsreihe „Lesart Spezial“ eingeladen, um uns den Appetit zu verderben. Im Café Central des Essener Grillo-Theaters, wo der letzte Gastronom schon in vorauseilendem Gehorsam das Feld geräumt hat und lediglich eine Art Notverpflegung über die Theke gereicht werden konnte, diskutierten gestern Abend die Autorin Karen Duve (links) und der Kulturwissenschaftler Prof. Ludger Heidbrink (rechts) über „Die Hungrigen und die Satten – Ernährung in der globalisierten Welt“. Maike Albath (in der Mitte) moderierte das Gespräch für Deutschlandradio Kultur, der Sender bringt eine Aufzeichnung der Veranstaltung am kommenden Sonntag von 12:30 Uhr bis 13:00 Uhr.

Karen Duve ist mit ihrem Bestseller Anständig essen zurzeit in aller Munde (Aufl. 60.000), bis vor wenigen Tagen tourte sie mit Jonathan Safran Foer durchs Land, der mit Tiere essen vor zwei Jahren die Frage nach der ethischen Vertretbarkeit unserer Ernährungsgewohnheiten mit besonderer Nachdrücklichkeit neu gestellt hat (Aufl. 150.000). Beiden Autoren ist gemein, dass sie einen starken subjektiven Faktor ins Spiel bringen. Foer erzählt sehr schmackhaft von den Festschmaustraditionen seines jüdischen Elternhauses und berichtet von seinen brandgefährlichen nächtlichen Inspektionen in den hermetisch abgeriegelten und scharf bewachten Betrieben der Massentierschinder. Und Karen Duve hat am eigenen Leibe ausprobiert, was Verzicht heißt, indem sie sich für jeweils ein Vierteljahr konsequent biologisch, vegetarisch, vegan und schließlich gar fructarisch ernährt hat. Beide Autoren stimmen grundsätzlich darin überein, dass die Lebensmittelproduktion in den westlichen Industrienationen zu einem guten Teil das Ergebnis krimineller Machenschaften ist, ob man die massenhafte, industriell betriebene Tierquälerei in den Blick nimmt, die Verschwendung nicht erneuerbarer Ressourcen oder die irreversible Störung ökologischer Balancen mit katastrophalen Folgen für die gesamte Biosphäre – und damit notwendig auch für den Menschen.

Statt Foer saß gestern Heidbrink auf dem Podium und stellte ein wirtschaftspolitisches Buch zum Thema vor: Mordshunger – Wer profitiert vom Elend der armen Länder? von dem luxemburgischen Diplomaten Jean Feyder. Schon bei dem Duo Duve / Foer fiel mir auf, dass die weitgehende Einhelligkeit ihrer Standpunkte eher einschläfernd als anregend wirkte (siehe deren Doppelinterview „Die Fleischindustrie zerstört diesen Planeten“; in: Süddeutsche Zeitung Nr. 22 v. 28. Januar 2011, S. 9). Auch vom Zusammentreffen zwischen Heidbrink und Duve ist mir nicht die kleinste wahrnehmbare Meinungsverschiedenheit in Erinnerung geblieben.

Diese schon wieder etwas beunruhigende Harmonie wurde nahezu penetrant, nachdem das Aufnahmegerät des Rundfunksenders abgeschaltet worden war und das Publikum eingeladen wurde, Fragen zu stellen und Stellung zu nehmen. Auch jetzt trübte keine Kontroverse die Stimmung, wie sollte auch? Schließlich war hier exklusiv die intelligente und gebildete Upperclass vertreten, die ja längst verstanden hat, dass nach der Rauchentwöhnung nun der Verzicht auf gewisse delikate Schweinereien angesagt ist, wenn man sich nicht dem Druck des neuen ethischen Mainstreams aussetzen will. Dass diese Gruppe der freiwilligen „Gutesser“ voraussichtlich eine Minderheit bleiben wird und die Junkfood-süchtige Masse die ganze Diskussion mangels Bildung kaum mitbekommen dürfte, wurde zwar angesprochen. Aber nun wurde sehr deutlich, wie fremd doch den versammelten Herrschaften die Lebenswirklichkeit von Hartz-IV-Empfängern im heutigen Deutschland ist. Diese Elenden tauchten nur kurz als gedankenlosen Tröpfe auf, die täglich drei Koteletts essen und sich um das Leid der Tiere einen Teufel scheren. Dass Übergewichtigkeit durch billige und schlechte Ernährung in den unteren Bevölkerungsschichten deutlich mehr verbreitet ist als bei den Wohlhabenden und Gebildeten, dürfte aber wohl eher eine Frage des Geldbeutels sein als des guten Willens und der Vernunft. Was tun? So lautete die drängendste Frage aus dem Publikum, das nach den immer etwas halbherzig und verquält klingenden Ratschlägen der Experten auch mit eigenen Ideen aufwarten wollte. Eine Auszeichnungspflicht für Lebensmittel müsse es geben, die den Verbraucher über Herkunft, Herstellungs- und Verarbeitungsweise, Fremdzusätze usw. ausführlich unterrichte. Das habe doch beim Kampf gegen das Rauchen auch prima geklappt. Dass gerade unter den Ärmsten in unserer Gesellschaft nach wie vor besonders exzessiv gequalmt wird, Aufklärung allein also kaum eine Lösung sein kann, wurde immerhin leise zu bedenken gegeben. Nicht nur Fleisch und Fisch, unsere gesamte Verpflegung müsste deutlich verteuert werden, forderte eine Stimme. Dass sich dann bei 3,5 Millionen Menschen in Deutschland bald der Hunger zurückmelden dürfte, kam nicht zur Sprache. Stattdessen wurden der Zorn der Wutbürger gegen „Stuttgart 21“ und die magische Vorbildwirkung von aufgeklärten Peergroups beschworen; selbst eine Anknüpfung an die 68er wurde herbeigesehnt und stand offenbar plötzlich nicht mehr unter Kitschverdacht. Die nahe liegende Frage hingegen, was eigentlich geschieht, wenn demnächst 1,3 Milliarden Chinesen täglich drei Koteletts essen wollen, wurde nicht gestellt.

Die Beunruhigung über das Problem war immerhin spürbar, und auch die Hilflosigkeit. Einen sehr aufschlussreichen Satz von Karen Duve habe ich mit auf den Heimweg genommen. Er bezieht sich auf Bücher, die solche Weltprobleme unbarmherzig darstellen. „Wenn man so etwas liest und sich immer schlechter dabei fühlt, dann lässt man es irgendwann sein.“ Die Autorin erklärte damit wohl, warum sie in ihrem Buch stets auch nach den kleinen Verbesserungen gesucht hat, statt darüber zu verzweifeln, dass eine globale Kehrtwende kaum möglich scheint. Hiermit ist auch meine Stimmung nach der Veranstaltung gut beschrieben. Dafür, dass es um eine weltweite grauenhafte Katastrophe ging, fand ich die Veranstaltung doch ausgesprochen gemütlich: sympathische Diskutanten, ein gebildetes Publikum und kein einziges böses Wort! – Zum Abschied empfahlen die beiden Diskutanten noch passende Lektüre zur Vertiefung des Themas. Professor Heidbrink riet zu John Rawls: Gerechtigkeit als Fairness; und Karen Duve empfahl ein Buch von Mark Rowlands: Der Philosoph und der Wolf. – Hungrig wie ein Wolf trottete ich heimwärts durch die überfrierende Nässe und machte mir ein Gulaschsüppchen aus der Büchse von ALDI heiß.

2 Responses to “Vor dem Fressen die Moral?”

  1. Jan Says:

    Da haben Sie den Abend ja schön Ihre Zeit verschwendet, Sie haben leider gar nichts begriffen…

    “[…] wenn man sich nicht dem Druck des neuen ethischen Mainstreams aussetzen will.” – Kompletter Blödsinn, 90% der Deutschen sind Fleischesser, auch in der “gebildeten Upper Class”, wo ist da der vegetarische Mainstream?

    “Dass Übergewichtigkeit durch billige und schlechte Ernährung in den unteren Bevölkerungsschichten deutlich mehr verbreitet ist als bei den Wohlhabenden und Gebildeten, dürfte aber wohl eher eine Frage des Geldbeutels sein als des guten Willens und der Vernunft.” – lol. Ein Bio-Hacksteak hat genau so viel Kalorien wie ein Quälfleisch-Hacksteak von Aldi. Ich kann auch fett werden mit ausschließlicher Bio-Nahrung. Wo nehmen Sie diese wirre These her?

    “Die nahe liegende Frage hingegen, was eigentlich geschieht, wenn demnächst 1,3 Milliarden Chinesen täglich drei Koteletts essen wollen, wurde nicht gestellt.” – Das Essverhalten von 1,3 Milliarden Chinesen macht Frau Duves Entscheidung hinsichtlich ihrer Ernährung nicht besser oder schlechter. Vielleicht sollten wir auch wieder FCKW in Spraydosen füllen und Autos ohne KAT herstellen, könnte ja sein, dass irgendwelche Chinesen das ohnehin schon tun. – Was eine tumbe Argumentation

    Generell schwingt in Ihrem Pamphlet dieser momentan pseudo-hippe Ansatz mit, vegetarische Ernährung sei nur reichen Menschen vorbehalten. Das ist Unsinn. Fleisch weglassen kostet gar nichts, es ist billiger. – Es ist außerdem heuchlerisch, für 3,5 Millionen Deutsche unter der Armutsgrenze billiges Fleisch zu fordern, für dessen Produktion dann aber ein Vielfaches dieser 3,5 Millionen in anderen Ländern hungern muss, weil wir deren Essen an unsere Tiere verfüttern.

  2. Revierflaneur Says:

    Diese etwas kratzbürstigen Fehlinterpretationen meiner Ausführungen will ich im Detail nicht kommentieren. – In einem Punkt muss ich aber widersprechen: Der Abend war für mich mitnichten verschwendete Zeit!

Comments are closed.