Archive for February, 2011

Dünn besiedelt

Monday, 28. February 2011

Vor auf den Tag genau dreieinhalb Jahren schrieb ich erstmals bei Westropolis über das „Konfluenzpunkt-Projekt“ von Alex Jarrett: Seit dem Jahr 1884, als in Washington die Internationale Meridian-Konferenz tagte, gilt ein einheitliches System von zweimal 180 Längengraden – westlich oder östlich des Nullmeridians, der durch Greenwich bei London verläuft. Ihm entspricht der größte Breitenkreis der Erde, der Äquator, der mit 0 Grad festgelegt wurde. Die Polpunkte sind mit 90 Grad nördlicher bzw. südlicher Breite beziffert. Die Rechnung ist also ganz einfach: Es gibt nach diesem Koordiantensystem exakt 360 x 179 = 64.440 Schnittpunkte ganzzahliger Längen- und Breitengrade, die beiden Pole ausgenommen. Den Nord- oder Südpol (90° nördlicher bzw. südlicher Breite, ohne Länegnangabe) zu erreichen, das war eins der letzten großen geografischen Entdeckerabenteuer des vorigen Jahrhunderts, neben der Ersteigung des Mount Everest im Himalaya und der Auslotung des Marianengrabens im Pazifik. Die Erfolgsjahre dieser Vorstöße in die örtlichen Extreme unseres Globus sind 1909 (Robert E. Peary), 1911 (Roald Amundsen und Sir Walter F. Scott), 1953 (Sir Edmund Hilary und Sherpa Tenzing Norgay) und schließlich 1960 (Jacques Piccard). Danach, so sollte man meinen, gab es keine attraktiven Ziele für Entdeckungsreisende auf der Erde mehr. Im Jahre 1969 machte sich die entdeckungslüsterne Menschheit auf den Weg zum Mond.

Im Februar 1996 blies aber ein gewisser Alex Jarrett zu einer neuen, zeitgemäßen Jagd. Nachdem im Jahr zuvor das satellitengestützte Global Positioning System (GPS) in Betrieb genommen worden war, kam Jarrett auf die Idee, die geographisch eindeutig bestimmbaren Schnittpunkte der Längen- und Breitengrade, Konfluenzpunkte genannt, weltweit von Abenteurern unserer Tage verorten und registrieren zu lassen, per photographischer Dokumentation. Wer als „Konfluenz-Pionier“ einen solchen Schnittpunkt als erster erreicht und vier Fotos in alle Himmelsrichtungen von diesem Punkt aus ins Internet stellt, sodann noch als Beweis seiner „Eroberung“ ein Foto von der Anzeige seines GPS-Geräts, dass er auch wirklich dagewesen ist, macht sich damit unsterblich.

Die Ergebnisse kann man beim „Degree Confluence Project“ bestaunen. Von den rechnerisch 64.442 Konfluenzpunkten befinden sich 21.543 an Land, 38.409 auf Meeresflächen und 4.490 im Bereich der Polkappen. Ziel des Projekts ist es, dass jeder sogenannte primäre Konfluenzpunkt besucht und fotografiert wird. Konfluenzpunkte, die auf dem Wasser liegen und von denen aus kein Land sichtbar ist oder die sich auf den Polkappen sehr nahe beieinander befinden, werden als sekundäre bezeichnet. Auf den ersten Blick kommt manchem dieses Vorhaben vielleicht reichlich abgedreht vor, denn schließlich erfolgt die Auswahl der Punkte ja nach einem ganz abstrakten System. Befasst man sich aber etwas gründlicher mit den Ergebnissen dieses Experiments, dann ist man verblüfft, wie verschwindend klein die Zahl jener Fotos ist, auf denen Spuren der menschlichen Zivilisation zu erkennen sind. Das gibt zu denken, da das Koordinatengitter mit seinen Schnittpunkten ja schließlich einen objektiven Durchschnitt aller Orte auf dieser Welt abbildet.

Das „Degree Confluence Project“ belehrt uns folglich darüber, dass wir längst keine so große Rolle auf unserem Heimatplaneten spielen, wie wir uns selbst gern einreden wollen. Neben manch anderem leiden wir offensichtlich auch unter maßloser Selbstüberschätzung. Ein Außerirdischer, der Terra nach den ganzzahligen Koordinatenschnittpunkten „scannen“ würde, nähme uns als „wesentliches Phänomen“ kaum wahr. Ist das nun eine eher verstörende oder vielmehr eine beruhigende Erkenntnis? – Beruhigend jedenfalls insofern, als es wohl tatsächlich sehr unwahrscheinlich ist, von einem künstlichen Satelliten getroffen zu werden, der nach Ablauf seiner „Lebenszeit“ vom Himmel fällt. Dieses Ereignis steht uns nämlich Ende des Jahres 2011 bevor. Der zweieinhalb Tonnen schwere deutsche Forschungssatellit Rosat, der im Juni 1990 auf eine Umlaufbahn in 550 Kilometern Höhe geschossen wurde, ist nämlich schon seit Jahren im Sinkflut und wird unweigerlich bald in die Atmosphäre eintauchen, wie dpa meldet. Andreas Schütz vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) sieht allerdings keinen Grund zur Besorgnis: „Die Wahrscheinlichkeit, dass die Trümmer bewohntes Gebiet treffen, sei […] äußerst gering.“ (Dickes Ding; in: SZ Nr. 48 v. 28. Februar 2011, S. 10.) – Die Erde ist, auch wenn wir Stadtbewohner es manchmal vergessen, nach wie vor ein von Menschen extrem dünn besiedelter Planet.

(Der im Kartenausschnitt oben abgebildete Punkt – 80° westlicher Länge, 20° nördlicher Breite –, den ich auch schon in meinem Originalbeitrag bei Westropolis abgebildet hatte, wurde übrigens immer noch nicht „erobert“. Damals vermutete ich, dass erst Fidel Castro ins Gras beißen müsse, damit dort ein GPS-bewaffneter Konfluenz-Jäger seinen Triumph feiern könne. Groß wird dessen Triumph allerdings ohnehin nicht sein, denn der Ort befindet sich 32 Kilometer entfernt vom Land im Wasser und ist somit nur ein sekundärer Konfluenzpunkt.)

[Dieses Posting erschien zuerst am 31. August 2007 bei Westropolis unter dem Titel confluence.org als VIII. Folge der Serie „Meine 100 liebsten Nachschlagewerke“. Es wurde für die Neuaufnahme in mein Revierflaneur-Blog aktualisiert, überarbeitet und erweitert. – Einen zweiten Beitrag zum Thema veröffentlichte ich am 4. November 2008 hier.]

Kriegsspiel im Süthers Garten

Saturday, 26. February 2011

Ich hatte das Glück, in einer ruhigen kleinen Straße aufzuwachsen. Der Süthers Garten im Essener Stadtteil Rüttenscheid, eine Seitenstraße der Rüttenscheider am ,Stern‘, ist ziemlich genau hundert Meter lang und mündet in ein ebenfalls eher unbedeutendes Sträßchen, den Dohmanns Kamp. Parkstreifen gab es in meiner Kindheit Ende der 1950er-, Anfang der 1960er-Jahre hier noch nicht, wozu auch? Lediglich zwei Autobesitzer wohnten im Süthers Garten. Der eine war ein Lumpensammler mit seinem kleinen, dreirädrigen Lastwagen, der andere ein Lampenfabrikbesitzer mit hellblauem Citroën DS: hydropneumatische Federung!

Folglich war die Fahrbahn schön breit und eignete sich hervorragend zum Spielen. Eins unserer Lieblingsspiele hieß ,Deutschland erklärt den Krieg‘. Dazu wurde mit Kreide ein großer Kreis aufs Pflaster gemalt, in ebenso viele gleiche Segmente eingeteilt, wie Spieler teilnahmen, und mit Ländernamen versehen. Dann stellten sich alle Spieler außerhalb des Kreises an ihr jeweiliges Land, lediglich die Fußspitzen berührten die Peripherie so gerade noch. Der Spieler, der Deutschland repräsentierte, eröffnete das Spiel, indem er deklamierte: ,Deutschland erklärt den Krieg …‘ – und wenn er zum Beispiel ,… Frankreich!‘ gerufen hatte, dann rannten alle weg vom Kreis. Nur der ,Franzose‘ durfte nicht wegrennen, sondern musste mit dem Fuß in die Kreismitte treten und laut ;Stopp!‘ rufen.

Wie es dann genau weiterging, weiß ich nicht mehr. Ich erinnere mich nur noch, dass mit weiteren Kreisstrichen Teile der verschiedenen ,Land‘-Sektoren abgetrennt wurden. Mitspieler, die ihr ganzes Land verloren hatten, schieden schließlich aus. Und wer zuerst ausschied, hatte den Auftrag, am Eingang vom Süthers Garten auf der Lauer zu liegen, ob ein Auto in die Straße einbog. War das der Fall, rief er oder sie laut: „Achtung, Auto!“ Dann wurde das Spiel unterbrochen, bis das Auto vorbei war. Dies kam eher selten vor.

Ich erinnere mich, dass es irgendwann Ärger mit einem älteren Herrn gab, der in der Straße wohnte und nur noch einen Arm hatte. Er hatte uns einmal bei unserem Spiel beobachtet und war kopfschüttelnd von dannen gezogen. Uns schwante schon, dass ihm irgendetwas gegen den Strich ging. Wir vermuteten, dass er sich beschweren wollte, weil wir die Straße mit Kreide beschmierten. Aber ein paar Tage später steuerte er auf uns zu und hielt uns eine kleine Rede, dass wir uns schämen sollten, ein solches Kriegsspiel zu spielen. Der Krieg sei grausam und wir sollten froh sein, dass wir im Frieden aufwachsen dürften. Und Deutschland dürfe nie wieder einem Land den Krieg erklären. Ich meine, mich erinnern zu können, dass wir von da an ersatzweise ,Wer hat Angst vorm Schwarzen Manne?‘ spielten, aber ich bin nicht sicher, ob es wegen der Friedenspredigt des Einarmigen war, oder weil wir bloß mal was anderes spielen wollten.

Heute ist der Süthers Garten rund um die Uhr mit Autos vollgeparkt und zur Einbahnstraße deklariert. Die Fahrbahn ist nur noch halb so breit wie früher. Und Kinder spielen dort schon lange nicht mehr.

Fehler?

Thursday, 24. February 2011

Ich komme einfach nicht hinweg über diese „Causa Guttenberg“. Eigentlich widerstrebt es mir ja, mich an Mainstream-Diskussionen der Bundespolitik zu beteiligen, weil die jeweils aktuellen Aufregungen bloß von den tatsächlichen, viel grundsätzlicheren Problemen und Skandalen ablenken. Das Dioxin in den Eiern ist mir egal. Dass die Konsumenten mal für ein paar Wochen die Regale mit den Bioeiern leerkaufen, um dann wieder zu den billigeren Varianten zurückzukehren, und dass sich dieses Spielchen nun alle Jahre wiederholt, worauf jedesmal wieder ein großes Geschrei anhebt, das ist eigentlich nur noch komisch. Da lachen ja die Hühner! Und ob ein Minister seine Doktorarbeit selbst geschrieben hat oder hat schreiben lassen, ist mir insofern völlig egal, weil ich längst begriffen habe, dass prinzipiell alle Ehrentitel und Würdezeichen in unserer Welt käuflich sind. Nun hat er sich erwischen lassen, weil er so dermaßen plump zu Werke gegangen ist bei seiner Fälschung, dass man es fast nicht glauben möchte. Das ist peinlich für ihn, aber im Grunde noch peinlicher für jene, die es nicht gemerkt haben, weil sie sich vermutlich von seinem politischen Amt haben blenden lassen. Und um dem Fass den Boden auszuschlagen, haben sie noch summa cum laude druntergeschrieben. Ist das nun ein Thema für mich? Nein, es ist doch nur der uralte Klassiker vom tragischen Höllensturz des vermeintlich engelsgleichen Lieblings der Massen, der sich nun als Übeltäter entpuppt. Ich weiß noch, ich wurde gerade elf Jahre alt, wie meine Oma sich ein Tränchen verdrückte, als ihr Traummann aus der Glotze, Lou van Burg, sich als Seitenspringer entpuppte. Über solche Schmierenkomödien muss ich doch hier nicht schreiben.

Und doch gibt es etwas an diesem speziellen Fall von ,Fall eines Helden‘, das ihn wertvoll macht. Ich will versuchen, genau das herauszustellen.

Heute berichtet die Süddeutsche auf ihrer Titelseite über den Auftritt Guttenbergs vor dem Bundestag am gestrigen Mittwoch: „Nachdem er Fehler eingestanden und auf seinen Doktor-Titel verzichtet habe, sehe er keine Veranlassung, von seinem Ministeramt zurückzutreten. Von einem Plagiat könne keine Rede sein, weil dies bewusste Täuschung voraussetze. Die Fehler in der Arbeit erklärte der Minister mit der Mehrfachbelastung als Abgeordneter, Doktorand und Familienvater.“ (Der Doktor-Titel ist weg; in: SZ Nr. 45 v. 24. Februar 2011, S. 1.) Hier bleibt die Zeitung, die doch ursprünglich den Stein ins Rollen gebracht hat, hinter ihren eigenen Erkenntnissen zurück, indem sie das Wort „Fehler“ zweimal nicht in Anführungszeichen setzt. Genau dies ist ja der Taschenspielertrick des Ministers, bei seinem groß angelegten Betrugsversuch als von „Fehlern“ zu sprechen, die ihm unterlaufen seien. Als wären das Flüchtigkeitsfehler, entschuldbar durch den großen Stress in diesen sieben Jahren, in denen er mit seinem Plagiat zugange war! Und Guttenberg hat gar die Kaltschnäuzigkeit, in der besagten Befragung im Bundestag jeden mit einer Anzeige wegen übler Nachrede zu bedrohen, der ihm etwa unterstellen wollte, er habe absichtsvoll getäuscht und die Regeln wissenschaftlichen Arbeitens schuldhaft verletzt. Wenn man den Verteidigungsminister hier ernst nehmen wollte, dann belegten die im GuttenPlag Wiki mittlerweile dokumentierten zahllosen Fälle von Abschreiberei, dass Guttenberg beim Verfassen seiner Arbeit, also während sieben langen Jahren, unter einer schweren Bewusstseinstrübung gelitten haben muss. So etwas mag ja tatsächlich vorkommen, wie etwa auch Kleptomanen sich fallweise an ihre Diebstähle gar nicht erinnern können, verwundert das Diebesgut in ihren Taschen vorfinden und nicht wissen, wie es dort hineingekommen ist.

Genau diesen Weg beschreitet Guttenberg in seiner Argumentation, um sein Amt zu retten. Bei einer Rede vor unverdrossen ihm treu ergebenen Anhängern am Montag im hessischen Kelkheim schüttete er gleich sackweise Asche über seinem Haupt aus, um sich zu exkulpieren: „Ich habe in der – wenn man so will – in der Affäre um ,Plagiat: ja oder nein?‘ an diesem […] Wochenende mir auch die Zeit nehmen dürfen, […] mich auch noch einmal mit meiner Doktorarbeit zu beschäftigen. Und ich glaube, das war auch geboten und richtig, das zu tun. Und nach dieser Beschäftigung […] habe ich auch festgestellt, wie richtig es war, dass ich am Freitag gesagt habe, dass ich den Doktortitel nicht führen werde. Ich sage das ganz bewusst, weil ich am Wochenende – auch, nachdem ich diese Arbeit mir intensiv noch einmal angesehen habe – feststellen musste, dass ich gravierende Fehler gemacht habe; gravierende Fehler, die den wissenschaftlichen Kodex, den man so ansetzt, nicht erfüllen. Ich habe diese Fehler nicht bewusst gemacht. Ich habe auch nicht bewusst oder absichtlich in irgendeiner Form getäuscht und musste mich natürlich auch selbst fragen […]: Wie konnte das geschehen,? Wie konnte das passieren? […] Und das sind selbstverständlich Fehler. Und ich bin selbst auch ein Mensch mit Fehlern und Schwächen. Und deshalb stehe ich auch zu diesen Fehlern. Und zwar öffentlich zu diesen Fehlern, meine Damen und Herren, und bin auch ganz gerne bereit, dies in die hier stehenden Kameras zu sagen, […].“ (Zit. nach Hans Hütt: Guttenbergs Wettertannenrede; auf CARTA.) Die Professionalität, mit der Guttenberg vorgeht, wäre bewundernswert, wenn der Schaden, den er seinem Amt und dem Ansehen der Demokratie damit zufügt, nicht so beklagenswert wäre. All diese nachweisbaren wörtlichen oder – noch schlimmer! – geringfügig abgewandelten Textstellen, von denen mindestens eine auf drei Vierteln aller Seiten seiner über 400 Seiten umfassenden Schrift vorkommt, sind also von ihm unbemerkt dorthin geraten? Und das müssen wir ihm glauben, andernfalls er uns mit einer Anzeige wegen übler Nachrede bedroht? Vielleicht gar – Majestätsbeleidigung?

Ach, was schreibe ich mich hier in Rage? Was ich nur festhalten wollte, ist dies: Wenn der Noch-Verteidigungsminister und Ex-Dr. Karl Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg einen Fehler gemacht hat, dann war es der darauf zu vertrauen, der Glanz seiner Herkunft und seiner Stellung könnte ausreichen, jegliche Zweifel an seiner Rechtschaffenheit dauerhaft zu überblenden und so seine plumpe Fälschung dem Zugriff kritischer Nachprüfung zu entziehen.

Baedecker?

Tuesday, 22. February 2011

In einem großen Artikel auf der Literatur-Seite stellt Thomas Senne heute in der Süddeutschen ein neues Büchlein über Samuel Becketts Deutschlandreisen der Jahre 1936 und 1937 vor. Natürlich schreibt der Rezensent den Namen des Nobelpreisträgers richtig, mit „ck“ und einem doppelten „t“ am Ende. (Thomas Senne: Unspeakable Eintopf; in: SZ Nr. 43 v. 22. Februar 2011, S. 14.)

Beckett hat während seiner Exkursion ins Reich der Finsternis Tagebuch geführt. Sein Neffe Edward Beckett untersagte „unverständlicherweise“, wie Senne findet, die Veröffentlichung dieser German Diaries seines 1989 verstorbenen Onkels. Nun hat der Musikkritiker Steffen Radlmaier, Feuilletonchef der Nürnberger Nachrichten, dieses Verbot immerhin teilweise unterlaufen, indem er in seiner jüngst erschienenen Studie Beckett in Bayern ausgiebig aus den Tagebüchern zitiert. (Bamberg: Kleebaum Verlag, 2011.) Auch den Namen Radlmaier schreibt Thomas Senne richtig.

Warum aber bringt er es nicht fertig, den Namen des vielleicht berühmtesten Reiseführers der Welt, der sich seit Jahrzehnten auch international als Eponym für diese spezielle Art von Nachschlegewerken durchgesetzt hat, korrekt mit einfachem „k“ zu schreiben?

Allerdings kann ich den Rezensenten damit trösten, dass er sich mit diesem Schreibfehler zwar nicht in gute, aber doch in große Gesellschaft begeben hat. Ich habe 17 Jahre lang in der gleichnamigen Buchhandlung in meiner Vaterstadt gearbeitet, deren Gründer Gottschalk Diederich Baedeker ein Vorfahre des Reiseführer-Verfassers Karl Baedeker war. Damals habe ich hunderte von Dokumenten aller Art gesammelt, vom Brief über den Zeitungsartikel bis hin zum Buchzitat, in denen mit sturer Ignoranz immer wieder „Baedecker“ geschrieben wurde.

Übrigens wissen wir ja nicht, ob Senne für den Fehler selbst verantwortlich ist, oder ob er ihn bei Radlmaier vorgefunden und bloß unhinterfragt abgeschrieben hat. Und selbst die schlimmste Befürchtung, dass der Patzer auf Samuel Beckett höchstpersönlich zurückgehen könnte, darf ich nach meinen traurigen Erfahrungen nicht mit letzter Gewissheit ausschließen, solange ich mich nicht vom Gegenteil überzeugt habe. Es ist doch ein rechtes Elend mit der Hudelei der Schreiber in unserer Zeit!

Sozusagen

Tuesday, 22. February 2011

Im Mai 2007 startete ich bei Westropolis eine kleine Serie über lästige Phrasen, die manche Zeitgenossen gern in ihre mündliche Rede einfließen lassen und damit feinnervigen Zuhörern wie mir, zugegeben wohl einer verschwindend kleinen Minderheit, schrecklich an die Nerven gehen. Diese von mir unter der Gattungsbezeichnung „Ohrenkneifer“ vorgestellten Schädlinge im Volksmund sind hochinfektiös, in einem Maße, dass ich selbst immer wieder einmal davon angesteckt wurde, wenn mir tatsächlich selbst wieder bessere Einsicht gelegentlich der ein oder andere „Ohrenkneifer“ über die Lippen kroch. Autsch!

Ein Dutzend „Ohrenkneifer“ spießte ich seinerzeit auf, und um einige von ihnen wäre es schade, ganz in Vergessenheit zu geraten. Beispielsweise sozusagen. Ich entlarvte das penetrant in die mündliche oder gar schriftliche Rede deutschsprachiger Mitmenschen eingeflochtene Wörtchen als ein unbewusst eingebautes Hintertürchen, durch das der Sprecher bzw. Schreiber Reißaus zu nehmen plant, sollte das, was er da gerade von sich gibt, bei näherer Prüfung wortwörtlich doch nicht standhalten. Das Deutsche Wörterbuch von Wahrig macht mit seiner Worterklärung viel deutlicher als der Duden, um was für einen fauligen Wechselbalg es sich hier handelt: „gewissermaßen, wenn man es so ausdrücken will, obgleich es nicht ganz richtig ist“. (Gütersloh / München: Bertelsmann Lexikon Verlag, 2000, S. 1172.)

Aber warum muss man es denn so ausdrücken, obwohl es offenkundig nicht ganz richtig, klarer gesagt: obwohl es falsch ist? Weil einem die treffenderen Worte fehlen. Und warum fehlen einem die treffenden Worte? Weil man zu faul ist, nach ihnen zu suchen. Und was ist die Folge dieser um sich greifenden kollektiven Wortfindungsstörung, geboren aus lethargischer Gleichgültigkeit? Eine progressive Degeneration des Wortschatzes, eine daraus resultierende Verarmung der Sprache und des Denkens.

Dem Grimm’schen Wörterbuch ist das Wort „sozusagen“ übrigens noch gänzlich unbekannt, während „gewissermaßen“ dort gerade mal als eine modische Innovation aufgeführt wird. Auch auf dieses Füllsel hätten wir zur fragwürdigen Bereicherung unseres Wortschatzes besser verzichten sollen, denn heute wird es nach meiner Erfahrung vorzüglich dann eingesetzt, wenn eben gerade nicht gewiss ist, was der Sprecher oder Schreiber mit dem so Eingeläuteten eigentlich meint. „Gewissermaßen“ wird vielmehr und paradoxerweise als Warnhinweis für eine ungewisse Unbestimmtheit missbraucht – und damit seinem ursprünglichen Sinn entfremdet.

Nachsatz im Februar 2011. Neulich hörte ich einen Podcast bei Küchenradio von den Protesten beim letzten Castor-Transport im November vorigen Jahres. DocPhil interviewt im Unterholz einen der Organisatoren von der Aktion „Castor schottern“, der nahezu in jedem dritten Satz „sozusagen“ sagt. Das Wörtchen ist zu einem dermaßen sinnfreien Füllsel seiner Sprechweise geworden, dass er es mitunter bis zur völligen Unverständlichkeit verschleift. In neun Minuten bringt dieser Aktivist es tatsächlich fertig, 29 mal „sozusagen“ zu sagen! Und wenn man schön aufpasst, entdeckt man, dass das Virus nach einer Weile auf den Interviewer überspringt. Sehr schön und hörenswert! (Das Interview findet der Hörer zwischen Min. 12:00 und Min. 21:00.)

[Dieses Posting erschien zuerst am 2. Februar 2008 bei Westropolis unter dem Titel sozusagen als XII. Folge der Serie „Ohrenkneifer“. Es wurde für die Neuaufnahme in mein Revierflaneur-Blog überarbeitet und erweitert.]

Märchen (III)

Sunday, 20. February 2011

htmustafa

Mubarak? War da nicht mal was? Hatte der ägyptische Despot nicht vor Jahr und Tag schon einmal meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen? – Das fragte ich mich, als seit dem 25. Januar das Volk zunächst in Kairo und bald auch in anderen Großstädten des bevölkerungsreichsten afrikanischen Staates auf die Straßen ging und den Rücktritt seines Präsidenten forderte. Ich half meinem Gedächtnis mit der Suchfunktion in meinem Blog auf die Sprünge und erinnerte mich nun gut an jenes grausame orientalische Märchen, das mich von Ende August bis Anfang September 2008 in seinen Bann gezogen hatte.

Die Geschichte vom brutalen Mord an der prominenten libanesischen Sängerin Suzan Tamim, von der Jagd nach ihrem Killer Mohsen al-Sukkari (oder Mahmoud el-Sukkary) und dessen steinreichem Auftraggeber, dem gehörnten Ex-Geliebten der Sängerin, war gleich in mehrfacher Hinsicht interessant. Einerseits offenbarte sich hieran das Ausmaß der Korruption und der Machtmissbrauch der herrschenden Klasse unter Husni Mubaraks Regime. Andererseits verwunderte aber auch die Zurückhaltung der westlichen Medien bei der Berichterstattung über den Fall, die sich auffallend lange zierten, auch nur den Namen des ägyptischen Auftraggebers preiszugeben. Als dann schließlich doch durchsickerte, dass es sich um den Hotelkettenbesitzer und Immobilientycoon Hesham Talaat Moustafa (oder Hischam Talaat Mustafa) handelte, da war der Fall in Deutschland längst aus den Schlagzeilen.

Damals bildete ich mir was darauf ein, immerhin nach längerer Suche ein unscharfes Bild von diesem vor Eifersucht wahnsinnig gewordenen Hesham Talaat Moustafa gefunden zu haben, und gar noch eins, das ihn beim Shakehands mit George W. Bush zeigte. Heute gibt es Bilder von Moustafa zur Genüge, hinter Gittern und ohne Gitter [s. Titelbild]. Der Mann war am 21. Mai 2009 von einem Gericht in Kairo zum Tod durch den Strang verurteilt worden. Menschenrechtsaktivisten und Kritiker der Regierung von Präsident Mubarak, dessen Sohn Gamal ein guter Freund von Moustafa war, hatten das Urteil insofern begrüßt, als es ausnahmsweise einmal das Recht ohne Rücksicht auf solche guten Beziehungen eines steinreichen Schwerverbrechers zur Anwendung brachte. Bei allem Verständnis für diese Genugtuung muss ich mich als prinzipieller Gegner der Todesstrafe hiervon natürlich dennoch klar distanzieren.

Allerdings sollte es bei diesem ersten Urteilsspruch ohnehin nicht lange bleiben. Am 4. Februar 2010 stellten Moustafas Anwälte für ihren Mandanten, der nach wie vor seine Unschuld beteuerte, Antrag auf Revision des Strafverfahrens. Am 4. März wurden die Urteile aufgehoben, zugleich wurde ein neuer Prozess angeordnet. Am 28. September 2010 wandelte das Gericht die Todesstrafe für Moustafa in 15 Jahre Haft um. Mubaraks langer Arm hatte wieder einmal für „Gerechtigkeit“ in seinem Sinne gesorgt.

Aber nun ist Husni Mubarak mit Kind und Kegel über alle Berge. Ob durch den Machtwechsel dieser Fall noch einmal eine neue Wende nimmt? Ich bleibe wachsam und spinne mein Garn weiter, sobald sich die Spindel wieder dreht. Im Unterschied zu den Schreibern in den Massenmedien habe ich ja die Geduld eines Engels und alle Zeit dieser und der anderen Welt.

Erfolgsgeschichten (I)

Sunday, 20. February 2011

copyrightninapuri

Einige Jahre meines Lebens habe ich damit zugebracht, Bücher an den Mann und an die Frau zu bringen, die ihren Erfolg allein dem Umstand verdankten, dass sie ein aktuelles Bedürfnis befriedigten oder ein vorübergehendes Interesse stillten – oder vielmehr zu befriedigen vorgaben bzw. zu stillen versprachen. Ich weiß nicht, ob es immer schon Verlage gab, die die Themen und die Machart ihrer Produkte den gängigen Trends und aktuellen Moden ablauschten und Bücher sozusagen als Konfektionsware bei ihren Stammautoren in Auftrag gaben. Diese Büchermacher schreiben nicht mehr, wie es in ferner Zeit einmal gewesen sein mag, weil sie in ihrem Innersten ein Anliegen tragen, das sie der Welt mitteilen zu müssen glauben, sondern weil ihre Berater draußen in der Welt ein Anliegen ermittelten, für welches passgenau und maßgeschneidert ein Buch gemacht werden muss. Für den Verleger, der ja an erster Stelle Kaufmann ist, scheint diese nachfrageorientierte Produktionsweise den Vorteil zu haben, sein Risiko zu verringern.

Typischerweise handelte es sich bei solchen Büchern um sogenannte Ratgeberliteratur im weitesten Sinn des Wortes. Die sogenannte Belletristik oder auch „Schöne Literatur“ hingegen, Romane vorzugsweise, Prosasammlungen, gar die paar erfolgreichen Gedichtbändchen, die es zu nennenswerten Auflagenhöhen brachten, verweigerten sich hingegen bisher allen Versuchen kalkulierter Erfolgssteuerung. Selbst das vergleichsweise plumpe Marketinginstrument der Erkenntnis, dass der Teufel immer auf den dicksten Haufen scheiße, erwies sich ein ums andere Mal als unzuverlässiges Erfolgsversprechen, wenn etwa das Foucaultsche Pendel von Umberto Eco sich zwar im Gefolge seines sensationell erfolgreichen Romans Der Name der Rose zunächst noch sehr gut verkaufte, sich aber bald herumsprach, dass sich in dem neuen Buch nichts von dem wiederfand, was man bei seinem Vorgänger so sehr genossen hatte. Was war aber nun diese süße Speise gewesen, die die Leser so sehr verzückt hatte? Ich versuchte, es herauszubekommen, der ich doch beide Romane des italienischen Semiotikers nicht gelesen hatte noch zu lesen beabsichtigte. Die Auskünfte, die mir Ecos Leser darüber erteilen konnten, machten mich leider nicht schlauer.

Viel Zeit habe ich darauf verschwendet, selbst einen Roman zu schreiben, denn dies schien mir im dritten und vierten Lebensjahrzehnt eine Aufgabe, der sich ein Mensch zu stellen habe, wollte er nach seinem Ableben mehr hinterlassen als den schlechten Geruch faulenden Fleisches und ein paar lumpige Knochen. Ich machte schon eingangs dieser Bemühungen den großen Fehler, mich viel zu gründlich mit den gelungenen Ergebnissen meiner Vorläufer vertraut zu machen. Ich entwickelte einen feinen Sinn für Qualität und überzüchtete infolgedessen die Ansprüche an mein eigenes Schreiben so sehr, dass ich hinfort jede meiner Zeilen nur voller Hohn und Verachtung zu lesen vermochte. Schließlich gab ich auf.

Dabei hätte ich besser daran getan, einen Ratgeber zu schreiben! Die Einblicke, die mir mein Brotberuf in die Machart solcher Bücher und besonders auch in die Rezeptur ihres Erfolgs bescherte, hätte ich doch umstandslos anwenden können, um mich selbst und meinen Verleger zu wohlhabenden Leuten zu machen. Und was die Ansprüche an Stil und Ausdruck betrifft, an sprachliche Genauigkeit, Bildlichkeit und zugleich Verständlichkeit, so käme ich auf diesem Feld ja mit viel bescheideneren Mitteln aus als jenen, wie sie mir bei meinen ambitionierten Schreibexperimenten für den gescheiterten Roman zur zweiten Natur geworden waren und aus der Feder flossen wie nichts!

Aber es ist ja noch nicht zu spät. Viel lernen könnte ich gewiss für meinen Plan von den Routiniers des Product-Placements, von den Designern und Werbeprofis in den großen Agenturen. Das Titelbild von © Nina Puri zeigt ihren Beitrag in einem Texter-Wettbewerb zum Thema „Partner-Inserent“. Dieses Inserat erhielt – wen wundert ’s? – die meisten Zuschriften. Erfolg ist ja im Grunde sehr einfach, wenn man die Menschen, ihre unmittelbaren Bedürfnisse und geheimen Wünsche bis auf den Grund verstanden hat. Nina Puri hat übrigens auch ein Buch über eins der erfolgreichsten Möbel von Ikea geschrieben, das Billy-Regal. Wer Erfolgsgeschichte schreiben will, sollte vielleicht zunächst Erfolgsgeschichten lesen und begreifen. Gleich morgen will ich mich an die Arbeit machen, damit von mir außer dem Pesthauch der Verwesung usw.

Schamloses Geballere

Saturday, 19. February 2011

Get the Flash Player to see the wordTube Media Player.

Der Künstler Isao Hashimoto aus Japan hat vor acht Jahren einen überaus eindrucksvollen Animationsfilm angefertigt. Er veranschaulicht alle zwischen 1945 und 1998 auf unserer Erde durch Nuklearsprengkörper hervorgerufenen Explosionen.

Der Film zeigt jeden einzelnen der insgesamt 2051 Kernwaffentests als kurzes Aufleuchten an seinem genauen geographischen Ort auf der Weltkarte – und natürlich auch die beiden frühen „Anwendungen“ über Hiroshima und Nagasaki. Die Detonationen werden akustisch durch kurze Sinustöne angezeigt. Eine Sekunde entspricht einem Monat. Die Größe der aufleuchtenden Kreisflächen entspricht der Stärke der jeweiligen Explosion. Nationalfahnen am Kartenrand bezeichnen die Atommächte USA, UdSSR, Großbritannien, Frankreich, VR China, Indien und Pakistan. (Israel hat noch nicht getestet, Nordkorea begann damit erst 2006.) Neben jedem Fähnchen läuft ein Zählwerk, das die Tests für jedes Land aufaddiert.

Der Film hat eine sehr zu Herzen gehende „Dramaturgie“. Anfangs empfindet man jedes einzelne Aufleuchten noch als ein besonderes Ereignis, das aus dem tiefen Schweigen heraus für einen Moment auf sich aufmerksam macht. Man hat genug Zeit, sich die ungeheuren Zerstörungskräfte, die sich hinter diesem Tönchen verbergen, ins Gedächtnis zu rufen. Wenn sich ab Mitte der 1950er-Jahre die Testfrequenz so sehr steigert, dass man fast meint, eine elektronische Orgelmelodie zu hören, dann wird einem fast schwindlig. Jedenfalls ging es mir so. Ich schlug die Hände überm Kopf zusammen und rief laut: „Seid ihr denn wahnsinnig? Hört auf!“ Und meine Gefährtin, der ich den Film anschließend vorführte, erblasste und sprach: „Dass sie sich nicht schämen.“

Obwohl ich mich in schonenden Abständen immer wieder einmal mit der furchteinflößenden Hypothek beschäftigt habe, die die Entwicklung der Massenvernichtungswaffen uns beschert hat, war mir Isao Hashimotos eindrucksvolle Versinnbildlichung dieser Ereignisfolge bisher entgangen. Dabei ist der Film an vielen Stellen im Internet hinterlegt. (Ich fand ihn zufällig auf der auch sonst bemerkenswerten Seite postapocalypse.de.)

Tatsächlich klingt das wahnwitzige Geballere Anfang der 1990er-Jahre ab, mit dem Ende des Kalten Krieges scheint Vernunft einzukehren. Wir sind noch einmal davongekommen. Ein Grund zur Sorglosigkeit ist das allerdings nicht. Die dritte „Anwendung“ könnte jederzeit vorgenommen werden, die Mittel dazu werden wir wohl nie wieder los.

ScanPlag 1.0

Friday, 18. February 2011

woherhabeichdiesensatz

Warum ist eigentlich noch niemand auf die Idee gekommen, der Verlegenheit unseres Verteidigungsministers vor der Abgabe seiner mit so viel Fleiß verfertigten Promotionsschrift mit einem pfiffigen kleinen Suchprogramm abzuhelfen?

Die Sache verhält sich doch folgendermaßen. Bis zur Entwicklung der PCs mit moderner Textverarbeitung Mitte der 1980er Jahre und des Internet wenige Jahre später hatten Plagiatoren wenig zu fürchten. Höchstens durch einen dummen Zufall konnte ihnen ein aufmerksamer Leser auf die Schliche kommen. Nun aber ist es für jeden Hobbydetektiv ein Leichtes, Abschreiber zu entlarven. Wenn ich zum Beispiel einen markanten Satz aus einem meiner letzten Blogbeiträge ins Suchfenster von Google eingebe, wie etwa „Es ist, als legte er sich die Schlange des Äskulap um den Hals, mit seiner Todesverachtung kokettierend, und weidete sich an unserem Entsetzen“, dann bekomme ich augenblicklich die einzige passende Belegstelle im World Wide Web geliefert – nämlich meine eigene.

Genauso ging Andreas Fischer-Lescano am vergangenen Samstagabend vor, als er bei einem Glas argentinischen Rotwein die Probe aufs Exempel machte, ob denn die Doktorarbeit des Juristen Karl-Theodor zu Guttenberg, Verfassung und Verfassungsvertrag. Konstitutionelle Entwicklungsstufen in den USA und der EU, eine redliche Eigenleistung sei. Nach wenigen Stichproben wurde er zu seiner eigenen Überraschung fündig. Der Verteidigungsminister hatte offenbar etliche Textpassagen nahezu wortwörtlich aus fremden Werken übernommen, ohne sie als Zitate kenntlich zu machen. (Roland Preuß: Ein Abend in Berlin; in: Süddeutsche Zeitung Nr. 38 v. 16. Februar 2011, S. 2.) Der vermeintliche Plagiator tat, was jeder in seiner peinlichen Lage tun würde: Er leugnete jedwede böse Absicht und beteuerte, dass die Unterlassung von ein paar Quellennachweisen allein durch Flüchtigkeit verursacht und damit zu entschuldigen sei. Schließlich sei die Arbeit neben seiner „Berufs- und Abgeordnetentätigkeit als junger Familienvater in mühevoller Kleinstarbeit“ entstanden, so zu Guttenberg heute wörtlich.

Gesetzt den Fall, und wer wollte daran ernsthaft zweifeln, der Bundesverteidigungsminister sagt die lautere Wahrheit. Was hätte ihn dann vor diesem unglückseligen Fauxpas bewahren können? Vielleicht ein kleines Textverarbeitungsmodul, das folgendermaßen funktioniert. Es zerlegt Textdateien beliebigen Umfangs in Satzfragmente von jeweils ein bis zwei Dutzend Wörtern und schickt sie automatisch durch die Google-Suche. Dabei beschränkt es sich auf Text, der nicht in Anführungszeichen gesetzt ist. Ermittelt das Suchprogramm auffällige Übereinstimmungen mit fremden Texten, empfiehlt sie dem Autor die betreffenden Passagen zur Überprüfung. Er hat dann die Wahl, sie entweder als Zitate auszuweisen oder so umzuformulieren, dass ihre Herkunft nicht mehr ermittelbar ist. Ein solches Programm würde hinfort selbstverständlich nicht nur von Doktoranden angewandt, die vermeiden wollen, in die Bredouille zu kommen, in die sich der arglose Karl-Theodor zu Guttenberg gebracht hat. Vielmehr würden auch die Mitglieder der Prüfungskommissionen ein solches Werkzeug sehr zu schätzen wissen. Sie entgingen mit seiner Hilfe dem Vorwurf, nicht gründlich genug geprüft zu haben. Täuschungsversuche kämen nicht mehr vor, Flüchtigkeitsfehler ebensowenig. Und wer zu faul oder zu dumm wäre, als Doktorand diese ScanPlag-Software anzuwenden, der hätte den Titel wirklich nicht verdient.

Mit dem Patent zu einem solchen Suchprogramm könnte sein findiger Entwickler vielleicht reich werden. Und wenn er ganz schlau wäre, dann verkaufte er bald noch ein Update, das jedes beliebige Zitat durch syntaktische Umstellungen und Austausch synonymer Begriffe formal so verändert, dass es nicht mehr identifizierbar ist, ohne freilich seinen Sinn zu verändern.

Von Kairo zum Kairos

Friday, 18. February 2011

schutzlospreisgegeben

Seit geraumer Zeit denke ich darüber nach, welchen Nutzen es eigentlich für einen halbwegs gebildeten und durchweg unangepassten Mitteleuropäer wie mich hat, die täglichen Nachrichten aus den Massenmedien zur Kenntnis zu nehmen.

Ein krasser Outsider auch auf diesem Felde bin ich ja von jeher durch meine konsequente Fernsehverweigerung. Wann immer meine Mitmenschen hiervon erfuhren, war ihre spontane Reaktion, dass sie sich ein Leben ohne Fernsehgerät schon deshalb nicht vorstellen könnten, weil sie dann Angst hätten, „zu vieles nicht mitzubekommen“. Für sie gehöre die allabendliche Tagesschau unverzichtbar zu ihrem Freizeitprogramm. Man müsse doch „wissen, was in der Welt vor sich geht“, schon „um mitreden zu können“. Bei Urlaubsreisen ins Ausland fühlten sie sich deshalb oft „wie abgeschnitten“. Als ich noch beruflich mit solchen Zeitgenossen zu tun hatte, konnte ich aber immer wieder feststellen, dass ihre vermeintliche Informiertheit sowohl quantitativ als auch qualitativ um ein Beträchtliches hinter meinem aktuellen Kenntnisstand zurückblieb. Offenbar führte meine Partizipation am internationalen Tagesgeschehen, durch das morgendliche Lesen einer überregionalen Tageszeitung, gelegentliches Radiohören und nebenher noch durch das eher ziellose Stöbern in diversen Informationsangeboten im Internet, zu präziseren Kenntnissen, insbesondere aber zu einer strukturierteren Wahrnehmung und besser begründeten Bewertung des Weltgeschehens.

Ich erklärte mir diesen Rückstand meiner Kollegen unter anderem damit, dass das Zerhacken der Ereigniskontinuität im Fernsehen, zunächst durch die hektischen Schnittfolgen des Angebots, später dann durch das wilde Zappen der Nutzer im Überangebot der Programme, zu einer Auflösung von Sinnzusammenhängen führt. Überdies schien mir immer, dass die simultane Darbietung von optischer (visueller) und akustischer (verbaler) Information mindestens dann eher ablenkend wirken muss, wenn beide nicht aus einer Quelle rühren; anders gesagt: wenn Bild und Ton nicht wie aus einem Guss sind. (Genau aus diesem Grund und erwiesenermaßen ist das Microsoft-Programm PowerPoint kein Hilfsmittel bei der Präsentation komplexer Sachverhalte, sondern vielmehr geradezu ein Störfaktor für Verstand und Gedächtnis.)

Die jahrelange Gewöhnung an solch ein den Alltag beherrschendes Medium kann für das Bewusstsein der Konsumenten nicht folgenlos sein. So fällt mir auf, dass die öffentliche Wahrnehmung zu jedem gegebenen Zeitpunkt jeweils von einer Top-Nachricht gebannt zu sein scheint. Um diese herum wimmelt es geradezu von konkurrierenden Nachrichten, die sich darum bewerben, den Spitzenreiter abzulösen. Meist ist die Lebensdauer solcher Topnews auf wenige Tage begrenzt. Insofern wurden wir jüngst zu Zeugen einer ungewöhnlich lange dominierenden Nachricht, als Mubarak partout nicht weichen wollte. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, der dank einer ungeschickt mit fremden Federn ausgestopften Dissertation heute im Brennpunkt der Aufmerksamkeit steht, dürfte da nicht mithalten können. Diese Gegenüberstellung – hier ein Volksaufstand von etlichen Millionen in Ägypten, dort ein paar nicht korrekt ausgewiesene Zitate in einer Doktorarbeit: von Kairo zum Kairos – macht deutlich, wie disparat doch die jeweiligen Themen sind, auf die wir regelmäßig einen Teil unserer Aufmerksamkeit verschwenden; und wie wenig sie mit unserem wirklichen, alltäglichen Leben zu tun haben.

Immerhin das zu erkennen und von Einsichten dieser Art fragend zu Erklärungen vorzudringen, macht für mich eine wenigstens partielle und jedenfalls kritische Wahrnehmung des medialen Grundrauschens gerade noch sinnvoll.

Heinrich Funke: Das Testament (XII)

Thursday, 17. February 2011

Heinrich Funke Das Testament (XII)

Blauer Himmer über freier Natur, blaues Meer unter einer gut gemeinten Sonne, im Vordergrund sehr sparsame Zeichen von Vegetation, im Hintergrund nichts als ein verstellter Horizont und am rechten Bildrand vielleicht das eigentliche ,Ereignis‘ des Motivs: eine Steilküste, von einer gedrängten Architektur gekrönt, die dasteht, als warte sie darauf, hinuntergeschubst zu werden.

Vielleicht will das Bild ja Gedichtzeilen wie diese illustrieren: „Du herbe Göttin wilder Felsnatur, | du Freundin liebst es, nah mir zu erscheinen; | du zeigst mir drohend dann des Geiers Spur | und der Lawine Lust, mich zu verneinen. | Rings athmet zähnefletschend Mordgelüst: | qualvolle Gier, sich Leben zu erzwingen! | Verführerisch auf starrem Felsgerüst | sehnt sich die Blume dort nach Schmetterlingen.“ So die vierte Strophe aus Nietzsches Gedicht An die Melancholie.

Melancholie, hat ein vergessener Mund aus dem Volke mal gesagt, sei die Sorge jener, die sonst keine haben. Und dann wäre da noch der Orakelspruch von der Trauer, die alle Tiere nach dem Geschlechtsakt verspüren. Dieser Satz ist ja gleich in mehrfacher Hinsicht fragwürdig. Erstens darf man bezweifeln, dass Tiere überhaupt das, was wir Trauer nennen, empfinden können. Zweitens dürfte es schwer fallen, ihre Gemütsverfassung nach dem Fortpflanzungsvorgang zu ermitteln. Drittens ist die Verallgemeinerung auf die gesamte Fauna von geradezu vorsintflutlicher Simplizität. Und schließlich ist viertens an dem Satz verdächtig, dass es keine verbürgte Quelle für ihn gibt. Mal Plinius, mal Aristoteles zugeschrieben, lautet er im lateinischen Original vollständig: „Post coitum omne animal triste praeter gallum, qui cantat.“ Der Hahn wird also von der postkoitalen Trauer ausgenommen.

Eigentlich ist der Satz insofern eher eine Aussage über den Hahn als über den Rest der Tiere, die vielleicht bloß zu erschöpft vom Liebesspiel sind, um ein solches Spektakel zu veranstalten. Und der Mensch? Wie fühlt er sich nach vollbrachter Tat?

Mir fällt an dieser Stelle Wilhelm Busch ein: „Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr.“ (aus: Julchen.) Nach der Erfüllung gleich welchen Wunsches mag sich bei uns Post-Hominiden zunächst eine gewisse Leere einstellen. Dieser Zustand ist aber jedenfalls sehr vorübergehend, denn die Welt dreht sich auch ohne unser Zutun weiter, und so weckt uns der gezeugte Nachwuchs aus dem Schlaf, unsere Werke entgleiten unseren Händen und wenden sich gegen uns und die Melancholie der Erfüllung erweist sich, wie jede andere Stimmung auch, als überaus vergänglich.

Heute vor 30 Jahren

Thursday, 10. February 2011

juengersarbeitsplatz1942

Aus fremden Tagebüchern: „Nachts wieder einmal im Pariser ,Majestic‘. Oben herrschte die alte Geschäftigkeit; ich fand mich mit den Türen nicht zurecht. Unten wurde der Empfangssaal umgebaut. Der Gang erinnerte an eine in sich perfekte Ordnung, die im ganzen unsinnig war. – Dem Begriff der Kerntechnik sollte man sowohl die Tätigkeit der Physiker wie jene der Biologen unterordnen – beide entspringen der gleichen Wurzel als prometheischer Trieb. Gut oder böse? Die Schlange des Asklep.“ (Ernst Jünger: Siebzig verweht III. Stuttgart: Klett-Cotta, 1993, S. 16.)

Dass diese Tagebucheintragung nicht von einem realen Parisbesuch des 85-Jährigen kündet, der sich etwa auf seine alten Tage noch einmal an den Ort seines Wirkens als Soldat im Zweiten Weltkrieg begeben hätte, ins Hôtel Majestic an der Pariser Avenue Kléber nämlich [siehe Titelbild], wo er im Stab des Militärbefehlshabers von Frankreich (MBF) unter Otto von Stülpnagel als Militärzensor wirkte, das wissen wir, weil die Notiz mit Wilflingen, 10. Februar 1981 überschrieben ist.

Jünger träumt also „wieder einmal“ von seinem fast vierzig Jahre zurückliegenden Aufenthalt in dieser Luxusunterkunft. Traumberichte haben aber für uns Leser den Nachteil, für den Verfasser hingegen den großen Vorteil, dass ihr Wahrheitsgehalt nicht überprüfbar ist. Ich habe schon von Anfang bis Ende erstunkene und erlogene Träume erzählt, dass die Zuhörer die Mäuler aufsperrten und für den Rest des Abends mit Deutungsversuchen beschäftigt waren. Ich erwähne das hier, weil mir die angeblich geträumte „perfekte Ordnung“ des Hotelflures, die zugleich im Ganzen unsinnig gewesen sein soll, wenig traumtypisch erscheint. Was sollen wir uns denn unter der Ordnung eines Ganges vorstellen? Allenfalls fällt mir da ein Raumbelegungsplan ein, bei dem zum Beispiel die höheren Ränge nach vorn heraus wohnen. Das riecht mir sehr nach ausgedacht! Und die Deutung liegt ja nahe. Jünger will nachträglich schon damals gespürt haben, dass das Hitlersystem bei aller vorgegebenen Professionalität im Kern doch morsch war und zum Untergang verdammt; dass die Hitlerei der höheren Weihen eines Sinns entbehrte.

Nachdem der Albdruck aus dem Weltkrieg zu Papier gebracht und so abgearbeitet wurde, folgt eine nicht minder bedrückende Betrachtung zu den Urgründen unserer Abweichung vom natürlichen Gang der Dinge. Hier die ,Atomkernphysik‘ mit ihrer schrecklichen Entfesslung von Massenvernichtungskräften; dort die ,Zellkernbiologie‘ mit den molekulargenetischen Möglichkeiten vollkommener Umschöpfung unserer menschlichen Natur. Eigentlich sollte mir ja gefallen, dass solche Gefahren, die auch ich für sehr konkret halte, immer und immer wieder ins Gedächtnis gerufen werden. Aber die Art und Weise, wie sich Ernst Jünger diesen „Gegenständen“ nähert, behagt mir ganz und gar nicht. Warum?

Weil er so schrecklich cool dabei bleibt. Es ist, als legte er sich die Schlange des Äskulap um den Hals, mit seiner Todesverachtung kokettierend, und weidete sich an unserem Entsetzen. (Wie ganz anders, wie menschlich klingen da doch die um die gleiche Zeit entstandenen Notizen von Günther Anders in seinen Ketzereien, die sich ebenfalls mit unserer prometheischen Erbschaft befassen!)

[Dieses Posting erschien zuerst am 10. Februar 2007 bei Westropolis unter dem Titel Heute vor 27 Jahren als zweite Folge der Serie „Aus fremden Tagebüchern“. Es wurde für die Neuaufnahme in mein Revierflaneur-Blog überarbeitet und erweitert. – Mit Dank an socursu für eine Korrektur.]

Sudelgeblogge (I)

Thursday, 10. February 2011

beimirdaheim001

[1] Als akkurate Hausfrau hatte sie dem Rest der Familie einen festen Belegungsplan für die Fächer des Besteckkorbes in der Spülmaschine verordnet. Vorn rechts: Messer. Vorn links: Gabeln. Mitte rechts: Suppenlöffel. Mitte links: Dessertlöffel. Hinten rechts: Kuchengabeln. Hinten links: Sonstiges. Denn so lasse sich, wenn sich jeder daran halte, beim Ausräumen viel Zeit sparen, weil das Einordnen in die Besteckschublade umstandslos mit nur sechs Handgriffen zu erledigen sei.

[2] Als seine Beliebtheit dank seiner Erfolge auf Rekordniveau gestiegen war, wurde er zum Geburtstag mit Geschenken von nahezu Fremden überhäuft, die weder seinen Geschmack kannten noch seine Interessen. Als sich Misserfolge einstellten und sein Stern wieder sank, verschenkte er das Gerümpel weiter. Dabei traf es sich gelegentlich, dass einer der einstigen Schenker versehentlich sein eigenes Geschenk zurückerhielt. Er sah es den beschenkten Schenkern an, denn sie spielten die freudige Überraschung beim Anblick der nutzlosen Dinge noch schlechter als er vor Jahr und Tag.

[3] Alle Liebe beginnt und endet mit der Eigenliebe. Dass letztere in so schlechtem Ansehen steht, beruht wohl weniger auf einem Missverständnis der Botschaft des Jesus von Nazareth, als vielmehr auf der irrigen Annahme, Liebe erfülle sich in der Übereinstimmung mit den guten und schönen Attributen des Geliebten. Mein Kreuzworträtsel fragt nach einem Wort mit zehn Buchstaben, welches „Eitelkeit mit Egoismus“ verbindet – und meint Eigenliebe! Ganz falsch ist dies jedenfalls dann, wenn man die gesunden Anteile eines fürsorglichen Umgangs mit dem eigenen Äußeren und der Durchsetzung eigener Lebensansprüche darüber vergisst, die nur zu leicht als eitel oder egoistisch denunziert werden; nämlich meist dann, wenn es konkurrierenden Individuen auf dem Markt der Eitelkeiten und Interessen gefällt. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst? Wenn aber die Eigenliebe verpönt ist, dann führt diese Gleichung doch zu keiner Nächstenliebe. Je tiefer hingegen die Eigenliebe ist, desto weiter vermag auch die Liebe zum Nächsten zu reichen. (Vielleicht gar zum Übernächsten?)

[4] Etliche der Aphorismen Lichtenbergs hören sich an wie Bruchstücke zu einem Roman, wie die Bonmots von Helden, deren Charaktere und Figuren erst noch zu erfinden sind. – In den Romanen, die ich in mein Antiquariatslager schubse, finde ich oft Anstreichungen von eigener oder fremder Hand an Sätzen, die zu guten Aphorismen getaugt hätten. Das bleibt dann also von den Romanen übrig, wenn sie durchs grobmaschige Sieb unseres Leseeifers passiert worden sind. – Warum, so wird sich der Göttinger Weise vielleicht gedacht haben, soll ich um meine brillanten Schmuckstücke mit bedeutendem Aufwand umständlich Kulissen und Übergänge bauen, damit das Ganze sich als Roman in der Welt behaupte? Zuletzt bleiben doch ohnehin bloß diese wenigen Preziosen übrig.

[5] Auf dem Lehrstuhl der Bescheidenheit lautet für den Weisen die erste Lektion, an seinem Verstande zu zweifeln.

[Diese neue Reihe sollte ursprünglich Sudelblog heißen. Da es ein solches aber schon gibt – wenngleich mit kaum einem Bezug zu Georg Christoph Lichtenberg, sondern stattdessen zu Kurt Tucholsky –, habe ich mich zur zweiten Wahl entschieden und meine Puppe in der Puppe in Sudelgeblogge umgetauft.]

Verhinderter Massenmörderzeuger

Wednesday, 09. February 2011

gesternbeibernhards

Heute wäre er also achtzig geworden; aber das immerhin ist Thomas Bernhard erspart geblieben. Sein Hoffotograf Dreissinger hat fast fünf Dutzend Leute befragt, die ihn kannten, soweit er es zuließ, ihn zu kennen, und ein Buch daraus gemacht. (Was reden die Leute: 58 Begegnungen mit Thomas Bernhard. Salzburg: Müry Salzmann, 2011.) Fünf Jahre hat er, heißt es, darauf verwendet. Das ist doch etwas übertrieben, oder?

Bernhard hat mich mal gepackt, als ich sechzehn war. Zu Ostern in Lugano las ich Frost und Verstörung. Danach war mein eigener Schreibstil auf Jahre hinaus versaut. Zwanghaft musste ich diese monotone Leier imitieren, dieses permutative Genörgele. (Da war ich übrigens in guter Gesellschaft. Der auch schon verstorbene Bernd Mattheus etwa hatte den gleichen Sound drauf, in seiner verschollenen Prosaminiatur Gespräche mit K. von 1974.) Und meinen Mitmenschen ging ich mit finsteren Andeutungen bevorstehender Gewalttaten auf den Wecker, dabei offen lassend, ob ich selbst oder der Rest der Menschheit das Opfer sein würde.

Da ich kein Theatergänger bin, habe ich den vielleicht bedeutenden Teil seines Werkes nicht mitbekommen. Aus Gehen las ich, nurmehr wenig engagiert und sozusagen bloß der Vollständigkeit halber, eine längere Passage am 1. Juni 1995 auf meiner LXIX. Soiree Vom Gehen. Endgültig passé war der Grantler für mich nach dem Erscheinen des Buches über seine Preise vor zwei Jahren. Da konnte man beim besten Willen nicht mehr übersehen, dass sein Ruhm doch zu einem guten Teil auf berechneter Selbstinszenierung gründete. Ausgestellter Größenwahn.

Es ist ja sehr verführerisch, den von den eigenen Feinden Gehassten allzu viel durchgehen zu lassen. Das gilt für meine Generation von Mao bis Mühl. Plötzlich wird man wach und erkennt, dass man Massenmörder und Kinderschänder verehrt hat! Thomas Bernhard war ein Misanthrop, deutschlich gesagt: ein Menschenhasser. Seine Bücher kaufen durften die gehassten aber. Und im Theater klatschen durften sie zur Not auch.

Immerhin zitierenswert, vielleicht als letztes Wort an diesem Ort zu Thomas Bernhard, eine kleine Anekdote aus einem älteren Buch über ihn, die anlässlich der Würdigung seines heutigen Geburtstags in der Zeitung zitiert wurde: „Thomas sagte, wenn er die Garantie hätte, einen Massenmörder zu zeugen, würde er es tun. Ich sagte, mit etwas Besserem wäre bei ihm kaum zu rechnen.“ (Karl Ignaz Hennetmair: Aus dem versiegelten Tagebuch. Weitra: publication PNo1 Bibliothek der Provinz, 1992; hier zit. nach Helmut Schödel: Ein Schlag von hinten auf die Schulter; in: SZ Nr. 32 v. 9. Februar 2011, S. 14.)

Westropolis – ein Epilog (VII & Schluss)

Tuesday, 08. February 2011

sinkendesschiffsechs

Die Vision eines für anspruchsvolle Kulturfreunde im Revier nützlichen Weblogs habe ich in groben Zügen umrissen. Nun also die letzte Frage, mit deren Beantwortung alles steht und fällt: „Wer ist interessiert und in der Lage, ein solches Kulturblog zu realisieren, sowohl inhaltlich als auch materiell?“

Die erste Voraussetzung, die dessen Stammautoren vermutlich erfüllen müssten, wäre ihre materielle Unabhängigkeit mindestens in einer Startphase. (Es sei denn, man fände einen risikofreudigen, idealistischen Sponsor.) Dass man mit Weblogs nur schwer Geld verdienen kann und in den ersten ein, zwei Jahren vorsichtshalber von einem Nullsummenspiel ausgehen sollte, dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben.

Sodann sollten sich die Autoren auf einen klar definierten, verbindlichen Standard verständigen können, was die Art der Themen, die Darstellungsweise und die stilistische und formale Qualität betrifft. Damit soll die Meinungsfreiheit und die Phantasie der Autoren keineswegs beschränkt werden. Aber ein Kulturblog für das Revier ist beispielsweise nicht die richtige Bühne für die Mitteilung persönlicher Befindlichkeiten, Exaltationen, Selbstdarstellungen selbstverliebter Schreibvirtuosen. (Als einen solchen kann man mich durchaus ansehen, aber diese Neigungen verwirkliche ich in meinem persönlichen Blog.) Auch ein Reisebericht von den Seychellen oder die Todesnachricht von Gary Moore gehört nicht hierher. Und das Unterscheidungsvermögen von das und dass ist die Mindestvoraussetzung für die Teilnahme an einem solchen Projekt, das sich an gebildete Leser wendet und sich von den auch orthografisch immer weiter degenerierenden Printmedien positiv abheben will. Ein besonders auffälliger Ton im Lokalkolorit der Ruhrstädte ist zweifellos der Fußball; doch bei allem Verständnis für Traditionen und gepflegten Infantilismus hat dieser vereinsmeiernde Ballspielwahn auf einer Kulturseite allenfalls ausnahmsweise etwas zu suchen.

Spätestens an dieser Stelle wird vielleicht deutlich, warum ich pessimistisch bin, was die Realisation dieses schönen Traums betrifft. Die einzigen Blogger im Revier, denen man den Anspruch unterstellen könnte, immerhin nebenbei auch Kultur im Revier und für das Revier zu vermitteln, die ruhrbarone, sortieren ihre Artikel in vier Schubladen: Alles über Pop bringt vorwiegend YouTube-Filmchen für junge Leute unter fünfzig; Auf dem Platz meint viel Fußball und sonst so allerlei, Lokalpolitik zum Beispiel und delikate Personalien aus der Region; Glaube, Sitte, Heimat ist ebenfalls ein Durcheinander ohne erkennbaren gemeinsamen Nenner, vielmehr rotieren regionale, nationale, internationale und interstellare Themen in der Schleuder, dass einem schwindlig wird; und schließlich hat die internationale Politik dann bei Rest der Welt noch ihren Exklusivauftritt.

Das ist jedenfalls kein Kulturblog, in dem man findet, was man sucht, sondern allenfalls über manches stolpert, von dem man nicht einmal träumte und das doch gelegentlich Spaß macht oder Interesse verdient. Wenn ich Langeweile habe, weil ich nicht weiß, was ich mit einem angebrochenen Abend anfangen soll, dann schnüffele ich vielleicht wie ein streunender Hund in meinen Lieblingsblogs, und dann vielleicht auch bei ruhrbarone herum, um für den Rest des Abends meine gute Stube nicht mehr zu verlassen. Wenn ich aber wissen will, was es an kulturellem Angebot für einen solchen Abend jenseits meines Monitors in der Region gibt, dann finde ich auf diesem Monitor zurzeit noch keine überzeugende Orientierungshilfe. – Mache ich einen Denkfehler, oder darf man dieses Defizit getrost als echte Marktlücke bezeichnen?

[Zurück zum Anfang der Serie.]

Wurzeln in Nachwehen?

Monday, 07. February 2011

blase9

Die unbeschränkte Kreativität der Zeitungstexter treibt erst recht auf dem unschuldigen Felde der Programmankündigung ihre Blüten, denn dort müssen sie ja nicht mal mit ihrem Namen dafür geradestehen.

Heute zum Beispiel widerfährt uns folgende atemlose Hatz: „Über mehrere Wochen jagt ein Trupp Männer den Trapper Gideon […] durch die Wildnis Nevadas. Ihr Anführer wird vom Wunsch nach Rache getrieben, dessen Wurzeln in die Nachwehen des amerikanischen Bürgerkrieges zurückreichen.“ (SZ Nr. 30 v. 7. Februar 2011).

Was Wehen sind, weiß jede Mutter. Wurzeln kennen Pflanzer und Dentisten. Dass ein Wunsch Wurzeln haben kann, mutet schon etwas sonderbar an. Dass diese aber in Nachwehen wurzeln können, muss bestritten werden. Und auch über die Nachwehen eines Bürgerkrieges würde man gern mal aufgeklärt. Wie nämlich heißt dann, wenn wir im Bilde bleiben, das Baby, das von den Wehen in die Welt getrieben wurde?

Andererseits ermuntert ein solcher Mumpitzsatz zur artifiziellen Nachahmung. Etwa so: „Etliche Monate hetzt eine Horde wilder Weiber den anämischen Nerd Tobias durch den Dschungel der nächtlichen Metropole. Ihre Anführerin wird von der Gier nach brutalem Sex aufgepeitscht, die in den Flashbacks morbider Drogennächte der Prohibitionszeit ankert.“

Auf eine solche Programmankündigung hin würde ich mich glattzu einem Fernsehabend bei meiner schwerhörigen Tante Lotte einladen.

Was denn nun?

Friday, 04. February 2011

riesenminiknochen

Gestern wurde ich Ohrenzeuge, wie Ariadne von Schirach im Deutschlandradio Kultur nahezu ekstatisch eine Broschüre aus dem Merve-Verlag besprach, François Julliens Die stillen Wandlungen. Die Rezensentin wurde bekannt durch ihr Buch Der Tanz um die Lust, das ich nicht gelesen habe und darum auch nicht beurteilen kann. Der in den Kritiken selten unterbleibende Hinweis auf ihren Großvater Baldur trug nicht dazu bei, mich mit dem Werk dieser Autorin näher zu beschäftigen. Ihr Auftritt gestern im Rundfunk ließ mich allerdings aufhorchen.

In einem hingerissenen Redeschwall, der an den leicht durchgeknallten Filmkritiker Hans-Ulrich Pönack erinnert, welcher ja beim selben Sender Unterschlupf gefunden hat, erklärte Schirach, was wir Zuhörer uns unter einer ,stillen Wandlung‘ vorzustellen haben: „Eine stille Wandlung ist das Alter. Eine stille Wandlung ist der Klimawandel. Eine stille Wandlung ist auch – sehr poetisch – das Fortgehen der Liebe. Man merkt es. Es fängt an, aber irgendwann … wir sehen nur die Ergebnisse. Wir haben kein Gespür für diese stillen Wandlungen. Vor allem geht es auch um Politik, also da geht es um die Unruhen in der islamischen Welt. Das ist gerade keine stille Wandlung mehr. Die ist realtiv laut und bevölkert unsere Nachrichten. Mit diesem Blick auf die stillen Wandlungen könnte man aber sagen: Was passiert denn bei uns? Was passiert in der Eurozone? Es zeichnen sich Dinge ab, mit Irland, mit Griechenland. Es kommen so kleine revolutionäre Schriften aus Frankreich. Das wären klassische stille Wandlungen. Jullien schärft unseren Blick. Er sagt, sie sind still, aber nicht unsichtbar. Sie bahnen sich an.“ – Von dem nahezu sprachlosen Moderator des Radiofeuilletons befragt, was uns dies denn bringe, prägte die studierte Philosophin folgenden Satz: „Zunächst, dass die Bedingungen unseres Denkens zufällig sind, zufällig und zugleich notwendig.“ Es habe, so offenbar ihre persönliche Erfahrung, „etwas ungeheuer Erfrischendes, zu begreifen, dass man die Welt ganz anders sehen kann.“ (Hier der O-Ton.)

Hm. – Deutschlandradio Kultur beschäftigt Ariadne von Schirach als freie Mitarbeiterin. Ob sie für solche Unsinnsgespinste einen großen Verdienst erhält, kann ich nicht sagen, große Verdienste um den menschlichen Erkenntnisfortschritt wird sie damit jedenfalls nicht erwerben. Wenn sie uns erklärt, die Konfrontation von westlichen Problemen mit östlichem Denken sei Julliens „großer Verdienst“, dann muss man der Philosophin (und leider auch dem Deutschlandradio, das den Fehler unberichtigt in sein Programmheft übernimmt) den kleinen, aber wesentlichen Unterschied erklären: Der Verdienst klingelt in der Kasse, das Verdienst hingegen ist ein rein ideelles Gut.

„Zufällig und zugleich notwendig“ – das klingt vielleicht in manchen hohlen Köpfen toll, denn solche bilden ja oft einen guten Resonanzkörper. Tatsächlich ist ’s ein arger Nonsens, den unsere schwärmerische Kritikerin offenbar so pfiffig findet, dass sie ihn ausgangs noch einmal strapaziert: François Jullien „beherrscht diese größte aller Künste, das Leben in seiner Zufälligkeit und Notwendigkeit zu illustrieren. Das ist fast wie eine Meditation.“

Wow! – Solcherlei Heißluft-Philosophasterie hat eindeutig weniger als zwei Prozent Fettgehalt, dafür enthält sie synthetische Geschmacksverstärker, dass die Lefzen tropfen [siehe Titelbild].

Heinrich Funke: Das Testament (XI)

Friday, 04. February 2011

Heinrich Funke Das Testament (XI)

Es soll also niemanden geben, der sich lieber im Wahnsinn freuen möchte, als gesunden Sinnes Schmerz zu erleiden?

Ich könnte auch hier wieder den Satz durch Aufzählung plausibler Gegenbeispiele ad absurdum führen, indem ich etwa von den zahllosen körperlich und seelisch Leidenden in der Hölle von Theresienstadt erzähle, die sich in den Wahnsinn flüchteten, weil sie den Schmerz gesunden Sinnes eben nicht mehr ertrugen. (Vgl. H. G. Adler: Theresienstadt. Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft. Göttingen: Wallstein Verlag, 2005, S. 625-685.) Zudem bezeichnet ja ,Wahnsinn‘ eine solche Vielzahl unterschiedlicher Erkrankungen von Seele und Geist, wie auch ,Schmerz‘ sehr verschiedene Leidensformen benennen kann, dass es mir schon deshalb schwer fällt, der Aussage in dieser simplen Verallgemeinerung zu folgen.

In diesem Falle setzen meine Zweifel an der Richtigkeit der Aussage allerdings noch früher an. Ich halte es nämlich für fragwürdig, ob je ein Mensch die freie Wahl zwischen diesen beiden Alternativen hatte: Schmerz bei vollem Bewusstsein oder Schmerzfreiheit im Wahnsinn? Gemeint ist vermutlich auch nicht eine solche reale Entscheidungssituation, sondern bloß die theoretische Erwägung eines Menschen bei klarem Verstand und ohne den Druck des Schmerzes. Dass es nun gar niemanden, also keinen einzigen Menschen geben soll, der sich für die Freuden des Wahnsinns und gegen den Schmerz bei „gesundem Sinn“ entscheidet, bleibt eine gewagte Behauptung. Wir wollen sie mal etwas abmildern und annehmen, dass der Künstler eine größere Zahl seiner Mitmenschen befragte und immer diese oder eine ähnliche Antwort bekam: „Um Himmels willen, nein! Wahnsinn? Bloß das nicht. Dann lieber Schmerzen ertragen!“

Ein solches Antwortverhalten scheint mir sogar glaubhaft und plausibel, weil ich weiß, dass die volkstümlichen Ansichten über den ,Wahnsinn‘ wilde Blüten treiben. Und grundsätzlich ist ja die Angst vor etwas Unbekanntem immer größer als die vor dem Vertrauten. Schmerz hat jeder schon einmal erfahren, Wahnsinn hingegen kennen die meisten Menschen nur vom Hörensagen oder jedenfalls doch nur ,von außen‘, nicht aus eigenem, innerem Erleben.

Der leere Stuhl steht vielleicht für den Platz, der reserviert wurde für jenen Menschen, der den Wahnsinn seinen Schmerzen vorzieht; und den es nicht geben soll, weshalb der Stuhl ewig leer bleibt. Ich weiß aber von Krebskranken, die dort Platz genommen haben, indem sie sich durch starke Morphingaben ihrer gesunden Sinne berauben ließen bis zur Bewusstlosigkeit. Und ich kann mir durchaus vorstellen, dass ich in ähnlicher Lage ebenfalls dort Platz nähme, statt vor Schmerz zu rasen.

Vor dem Fressen die Moral?

Wednesday, 02. February 2011

duvealbathheidbrink

Das Kulturwissenschaftliche Institut Essen (KWI) und die Buchhandlung proust hatten im Rahmen ihrer erfolgreichen Veranstaltungsreihe „Lesart Spezial“ eingeladen, um uns den Appetit zu verderben. Im Café Central des Essener Grillo-Theaters, wo der letzte Gastronom schon in vorauseilendem Gehorsam das Feld geräumt hat und lediglich eine Art Notverpflegung über die Theke gereicht werden konnte, diskutierten gestern Abend die Autorin Karen Duve (links) und der Kulturwissenschaftler Prof. Ludger Heidbrink (rechts) über „Die Hungrigen und die Satten – Ernährung in der globalisierten Welt“. Maike Albath (in der Mitte) moderierte das Gespräch für Deutschlandradio Kultur, der Sender bringt eine Aufzeichnung der Veranstaltung am kommenden Sonntag von 12:30 Uhr bis 13:00 Uhr.

Karen Duve ist mit ihrem Bestseller Anständig essen zurzeit in aller Munde (Aufl. 60.000), bis vor wenigen Tagen tourte sie mit Jonathan Safran Foer durchs Land, der mit Tiere essen vor zwei Jahren die Frage nach der ethischen Vertretbarkeit unserer Ernährungsgewohnheiten mit besonderer Nachdrücklichkeit neu gestellt hat (Aufl. 150.000). Beiden Autoren ist gemein, dass sie einen starken subjektiven Faktor ins Spiel bringen. Foer erzählt sehr schmackhaft von den Festschmaustraditionen seines jüdischen Elternhauses und berichtet von seinen brandgefährlichen nächtlichen Inspektionen in den hermetisch abgeriegelten und scharf bewachten Betrieben der Massentierschinder. Und Karen Duve hat am eigenen Leibe ausprobiert, was Verzicht heißt, indem sie sich für jeweils ein Vierteljahr konsequent biologisch, vegetarisch, vegan und schließlich gar fructarisch ernährt hat. Beide Autoren stimmen grundsätzlich darin überein, dass die Lebensmittelproduktion in den westlichen Industrienationen zu einem guten Teil das Ergebnis krimineller Machenschaften ist, ob man die massenhafte, industriell betriebene Tierquälerei in den Blick nimmt, die Verschwendung nicht erneuerbarer Ressourcen oder die irreversible Störung ökologischer Balancen mit katastrophalen Folgen für die gesamte Biosphäre – und damit notwendig auch für den Menschen.

Statt Foer saß gestern Heidbrink auf dem Podium und stellte ein wirtschaftspolitisches Buch zum Thema vor: Mordshunger – Wer profitiert vom Elend der armen Länder? von dem luxemburgischen Diplomaten Jean Feyder. Schon bei dem Duo Duve / Foer fiel mir auf, dass die weitgehende Einhelligkeit ihrer Standpunkte eher einschläfernd als anregend wirkte (siehe deren Doppelinterview „Die Fleischindustrie zerstört diesen Planeten“; in: Süddeutsche Zeitung Nr. 22 v. 28. Januar 2011, S. 9). Auch vom Zusammentreffen zwischen Heidbrink und Duve ist mir nicht die kleinste wahrnehmbare Meinungsverschiedenheit in Erinnerung geblieben.

Diese schon wieder etwas beunruhigende Harmonie wurde nahezu penetrant, nachdem das Aufnahmegerät des Rundfunksenders abgeschaltet worden war und das Publikum eingeladen wurde, Fragen zu stellen und Stellung zu nehmen. Auch jetzt trübte keine Kontroverse die Stimmung, wie sollte auch? Schließlich war hier exklusiv die intelligente und gebildete Upperclass vertreten, die ja längst verstanden hat, dass nach der Rauchentwöhnung nun der Verzicht auf gewisse delikate Schweinereien angesagt ist, wenn man sich nicht dem Druck des neuen ethischen Mainstreams aussetzen will. Dass diese Gruppe der freiwilligen „Gutesser“ voraussichtlich eine Minderheit bleiben wird und die Junkfood-süchtige Masse die ganze Diskussion mangels Bildung kaum mitbekommen dürfte, wurde zwar angesprochen. Aber nun wurde sehr deutlich, wie fremd doch den versammelten Herrschaften die Lebenswirklichkeit von Hartz-IV-Empfängern im heutigen Deutschland ist. Diese Elenden tauchten nur kurz als gedankenlosen Tröpfe auf, die täglich drei Koteletts essen und sich um das Leid der Tiere einen Teufel scheren. Dass Übergewichtigkeit durch billige und schlechte Ernährung in den unteren Bevölkerungsschichten deutlich mehr verbreitet ist als bei den Wohlhabenden und Gebildeten, dürfte aber wohl eher eine Frage des Geldbeutels sein als des guten Willens und der Vernunft. Was tun? So lautete die drängendste Frage aus dem Publikum, das nach den immer etwas halbherzig und verquält klingenden Ratschlägen der Experten auch mit eigenen Ideen aufwarten wollte. Eine Auszeichnungspflicht für Lebensmittel müsse es geben, die den Verbraucher über Herkunft, Herstellungs- und Verarbeitungsweise, Fremdzusätze usw. ausführlich unterrichte. Das habe doch beim Kampf gegen das Rauchen auch prima geklappt. Dass gerade unter den Ärmsten in unserer Gesellschaft nach wie vor besonders exzessiv gequalmt wird, Aufklärung allein also kaum eine Lösung sein kann, wurde immerhin leise zu bedenken gegeben. Nicht nur Fleisch und Fisch, unsere gesamte Verpflegung müsste deutlich verteuert werden, forderte eine Stimme. Dass sich dann bei 3,5 Millionen Menschen in Deutschland bald der Hunger zurückmelden dürfte, kam nicht zur Sprache. Stattdessen wurden der Zorn der Wutbürger gegen „Stuttgart 21“ und die magische Vorbildwirkung von aufgeklärten Peergroups beschworen; selbst eine Anknüpfung an die 68er wurde herbeigesehnt und stand offenbar plötzlich nicht mehr unter Kitschverdacht. Die nahe liegende Frage hingegen, was eigentlich geschieht, wenn demnächst 1,3 Milliarden Chinesen täglich drei Koteletts essen wollen, wurde nicht gestellt.

Die Beunruhigung über das Problem war immerhin spürbar, und auch die Hilflosigkeit. Einen sehr aufschlussreichen Satz von Karen Duve habe ich mit auf den Heimweg genommen. Er bezieht sich auf Bücher, die solche Weltprobleme unbarmherzig darstellen. „Wenn man so etwas liest und sich immer schlechter dabei fühlt, dann lässt man es irgendwann sein.“ Die Autorin erklärte damit wohl, warum sie in ihrem Buch stets auch nach den kleinen Verbesserungen gesucht hat, statt darüber zu verzweifeln, dass eine globale Kehrtwende kaum möglich scheint. Hiermit ist auch meine Stimmung nach der Veranstaltung gut beschrieben. Dafür, dass es um eine weltweite grauenhafte Katastrophe ging, fand ich die Veranstaltung doch ausgesprochen gemütlich: sympathische Diskutanten, ein gebildetes Publikum und kein einziges böses Wort! – Zum Abschied empfahlen die beiden Diskutanten noch passende Lektüre zur Vertiefung des Themas. Professor Heidbrink riet zu John Rawls: Gerechtigkeit als Fairness; und Karen Duve empfahl ein Buch von Mark Rowlands: Der Philosoph und der Wolf. – Hungrig wie ein Wolf trottete ich heimwärts durch die überfrierende Nässe und machte mir ein Gulaschsüppchen aus der Büchse von ALDI heiß.

Loveparade 2007

Tuesday, 01. February 2011

loveparade07

Aschersonntag, 26. August 2007. – Im Windschatten der Bahnsteigkante im Essener Hauptbahnhof staut sich die letzte Spur des Mega-Events [siehe Titelbild]. Ansonsten hat die Stadtreinigung ganze Arbeit geleistet. Das City-Center glänzt wie geleckt, auf der Kettwiger Straße knirscht zwar alle paar Schritte noch ein vereinzelter Glassplitter unterm Schuh – aber sonst deutet nichts mehr darauf hin, dass hier gestern geschätzte 1,2 Millionen Partygäste auf engstem Raum die erste Loveparade in der Metropole Ruhr feierten. Es ist noch einmal gut gegangen.

Als Dr. Motte and Friends am 1. Juli 1989 spontan auf dem Kurfürstendamm der noch geteilten Stadt Berlin die erste Loveparade veranstalteten, war dies eine ordnungsgemäß angemeldete politische Demonstration, unter der Parole: „Friede Freude Eierkuchen“. Die ca. 150 Technofans, die die Geburtsstunde dieses später so überaus erfolgreichen Tanzvergnügens unter freiem Himmel miterleben durften, erinnern sich heute nur noch an ein unverhältnismäßig großes Polizeiaufgebot – und an das schlechte Wetter. Danach verdoppelte sich die Zahl der Partygäste von Jahr zu Jahr. Und wer die Geschichte von der Erfindung des Schachspiels kennt und weiß, welche Folgen es hat, wenn man auf jedes Feld des schwarzweißen Brettes doppelt soviele Reiskörner legt wie auf das jeweils vorhergehende, der kann leicht den Schluss ziehen, dass diese Dynamik nur mit einer Katastrophe enden kann – wenn der indische Herrscher Shihram, der das leichtfertige Versprechen gemacht hat, dieser verhängnisvollen Entwicklung keinen Riegel vorschiebt und die Exponentialkurve rechtzeitig mit einem Machtwort abbricht. Der Senat der Stadt Berlin war weiser als Shihram und hat die Verhandlungen mit Dr. Mottes Nachfolger, dem Muckibuden-Millionär Rainer Schaller, im Sande verlaufen lassen. Danach stellte sich die Frage: Wie heißt die europäische Großstadt oder Region, deren Minderwertigkeitskomplex so groß ist, dass sie meint es nötig zu haben, ihren Anspruch als Kulturmetropole ausgerechnet mit diesem hypertrophen Massenauflauf in Wodka-Gorbatschow-Soße beweisen zu müssen? Erraten: Es war die Kulturhauptstadt Europas 2010, die nun vier weitere Jahre vertraglich verpflichtet ist, für ein Wochenende – in Dortmund, Bochum, Duisburg und Gelsenkirchen – einen enormen logistischen, verkehrstechnischen, notfallmedizinischen und sanitären Aufwand zu betreiben, damit uns eine Million und mehr junge Leute demonstrieren können, was sie unter Kultur verstehen: nämlich Komasaufen, Flaschenzerdeppern und Grölen.

Wenn die UNESCO erwägt, Städten wie Köln oder Dresden den Status des Weltkulturerbes für den Dom bzw. das Elbtal abzuerkennen, wegen eines Hochhauses bzw. einer Brücke, die nicht ins Bild passen, dann ist es mindestens so berechtigt, wenn die Europäische Kommission Essen & Co. augenblicklich auf die Rote Liste setzt und anmahnt: Noch eine solche Entgleisung, und ihr könnt auf Zollverein in drei Jahren die Lichter löschen! Ich würde mich hier nicht so sehr ereifern, wenn Schaller auf seiner Website nicht ausdrücklich den Zusammenhang zur Kulturhauptstadt 2010 herstellte: „Die Stadt Essen hat dabei die einmalige Möglichkeit, sich und die gesamte Metropole Ruhr würdig zu vertreten und zu zeigen, dass sie zu Recht Kulturhauptstadt Europas 2010 ist.“ Dieser Blödsinn findet sich in einem Appell an die „lieben Anwohnerinnen und Anwohner der Essener Innenstadt“, damit auch die, um den Nachtschlaf gebracht, endlich begreifen, was unter Kultur zu verstehen ist und dass man dafür schon mal ein Opfer bringen muss. Die Ideale der frühen Loveparade-Umzüge sind schon längst auf der Strecke geblieben: „Dr. Motte wollte nicht nur, dass die Teilnehmer tanzten, sondern dass sie zu aktiven Teilnehmern einer ,Tanzbewegung‘ wurden. Er wollte, dass ,Harmonie durch Musik‘ entsteht, er wollte Freiräume entstehen lassen durch nonverbale Kommunikation, er sprach von Liebe und Respekt, von der Vielfalt der Tanzmusik und wünschte am Ende der immer kurzen Ansprache eine schöne Party.“ (Wikipedia.) Selbst zum bloßen Tanzen war in diesem Pferch in Essen gar kein Platz – und erst recht bietet eine solche Veranstaltung keine Möglichkeit, Freiräume entstehen zu lassen. Es geht nur noch um den Rekord, die größte Party der Welt zu sein – und um den Zaster, den ein solcher Rekord einfährt.

Warum will jeder dabeisein, wenn 1,2 Millionen Raver sich in einem Sperrbezirk die Beine in den Bauch stehen und der überwiegende Teil von ihnen vom „eigentlichen Geschehen“ nichts mitbekommen? Mit der gleichen Berechtigung könnte man den ostdeutschen Geflügelmastbetrieb zum Mega-Event erklären, in dem pro Jahr 1,2 Millionen Hühner maschinell geschlachtet, gerupft, ausgenommen, von Knochen bereinigt und zu kleinteiligen Fleischstückchen zerhäckselt werden, als Beifügung zu den Dosensuppen eines gut notierten Lebensmittelherstellers. Der erhebt aber immerhin nicht Anspruch darauf, einen Beitrag zur Kultur zu leisten. Bei der 1997er-Loveparade klagte ein Rechtsanwalt im Namen seiner Mandanten, Eltern eines Kleinkinds, vor dem Verwaltungsgericht Berlin gegen die Lärmbelästigung, weil dieser junge Erdenbürger durch die laute Technomusik im Schlaf gestört werden könnte. Und der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V. (BUND) machte auf dem Klageweg geltend, dass geschützte Vogelarten im Tiergarten, ebenfalls durch das technische Getöse aus den Boxen, beim Nisten gestört werden und ihre Brut im Stich lassen. Solche donquijotesken Kämpfer gegen Windmühlenflügel haben meine ganze Sympathie. Und ich bedaure die Chirurgen in Essen und Umgebung, die die vergangene Nacht damit zubringen mussten, Schnittverletzungen durch Flaschenscherben zu nähen, weil die Organisatoren dieser tollen Party es nicht einmal auf die Reihe kriegen, die Mitnahme von Glasflaschen in den Sperrbezirk durch Polizeikontrollen an den Zugangsstellen zu unterbinden wie in Berlin.

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Ein kurzes Schlusswort noch, nach der katastrophalen Loveparade 2010 in Duisburg. Ganz falsch kann ich damals mit meinen Vorbehalten gegen diesen Mega-Event im Revier nicht gelegen haben, wenngleich meine Kritik eher auf den kulturellen Tiefstand als auf die logistischen Risiken zielte. Ich bin aber keiner von der Sorte, die sich nach einem solchen mörderischen Desaster triumphierend die Hände reiben und darauf hinweisen, dass sie von Anfang an dagegen waren. Und darum verkneife ich mir auch, aus den teils beleidigenden Kommentaren zu zitieren, in denen ich mal als Satiriker missverstanden, mal als Hinterwäldler denunziert wurde. Davon wird schließlich keins der Opfer wieder lebendig.

[Dieses Posting erschien zuerst am 26. August 2007 bei Westropolis unter dem Titel Aschersonntag. Es wurde für die Neuaufnahme in mein Revierflaneur-Blog geringfügig überarbeitet, ergänzt, gekürzt und korrigiert.]

Westropolis – ein Epilog (VI)

Tuesday, 01. February 2011

sinkendesschifffuenf

Wie lautete noch gleich meine vierte Frage? (Wir kommen ja langsam zum Schluss dieses Epilogs auf ein komisches Trauerspiel.) „Welche Schlüsse kann man aus den Erfahrungen mit dem ,Experiment‘ Westropolis für die Voraussetzungen einer erfolgreichen Kulturplattform für das Ruhrgebiet im Internet der Zukunft ziehen?“ – Ich würde diese Frage nach meinen bisherigen Reflexionen so nicht mehr stellen, denn erstens ist „Kulturplattform“ ein ungenauer Begriff; sagen wir doch lieber „Kulturblog“. Und zweitens müssten wir uns darüber verständigen, woran wir den Erfolg messen wollen.

Was DerWesten unter seinem Karteikartenreiter „Kultur“ an Bildern und Texten ablegt, sortiert in die Sparten Film, Fernsehen, Musik, Bühne, Ausstellungen, Bücher, Wochenende, Events aktuell und TV-Programme, das kann man allerdings als „Kulturplattform“ bezeichnen, mit der Betonung auf „platt“. Ein Weblog, das zu sein Westropolis nicht ganz ohne Recht vorgab, ist dieser Gemischtwarenladen jedenfalls nicht mehr. Überdies sind die Schwächen, die ich schon am Experiment Westropolis aufgezeigt habe, noch einmal vertieft worden. Die konfuse Systematik der Website unterscheidet zwar zwischen „Fernsehen“ und „TV-Programmen“, schmeißt dafür aber andererseits alle Tonkunst von Oper bis Heavy Metal in einen Topf, wobei fraglich bleibt, ob dieser Topf mit „Musik“ oder „Bühne“ überschrieben ist. Und ein Profil als das kompetenteste Medium für die Revierkultur wird ebenfalls nicht erkennbar, wenn etwa bei „Literatur“ von John Updikes nachgelassenen Storys bis zu einem Hörbuch von Herbert Knebel alles verwurstet wird, was den WAZ-Redakteuren zufällig auf den Schreibtisch flattert oder plumpst. Und was drittens den Schreibstil der Autoren betrifft, so herrscht farbloses Mittelmaß vor, mit häufigen Ausrutschern nach unten und seltenen Ausreißern nach oben. – Ob diese Kulturplattform der konkurrenzlos beherrschenden Mediengruppe im Ruhrgebiet, als ein besch…eidener Teil ihres Internetauftritts, Erfolg hat, ist schwer zu sagen. Bei mir hat sie keinen, ich lese das nicht. Und der Rest der Welt? Man müsste die Klickzahlen kennen, aber differenziert nach den Hauptthemen. Nicht umsonst stehen ja die politischen Topnews auf der Startseite, einen Klick weiter folgen zunächst einmal „Lokales“ und „Sport“. Erst dann kommt die „Kultur“ an die Reihe – und nach ihr nur noch „Leben“, „Videos“ und „Spiele“. (Mal nebenbei: Was ist das für eine kuriose Ordnung vermeintlicher Humaninteressen?) Jedenfalls kann man mir den Verdacht nicht ausreden, dass hier die „Kultur“ bloß notgedrungen, zähneknirschend geduldet wird, wie die schreckliche Tante, die man leider auf alle Familienfeste einladen muss, wegen der Erbschaft. Man weist ihr ein Plätzchen im hintersten Eck zu und gibt ihr das kleinste Stückchen Torte. Und wie sehr sehnt man Tantchens Ableben herbei!

Ein Kultur-Weblog für das Revier müsste sich von dieser ungeliebten alten Schachtel ungefähr so unterscheiden wie Jean Seberg als Patricia Franchini in Godards À bout de souffle von Bette Davis als Jane Hudson in What Ever Happened to Baby Jane. Ein solches Blog müsste klug und schlank sein, geradlinig und ehrlich, beweglich und klar.

Ein paar präzise Regeln wären unumgänglich. Kultur im Revier bedeutet was es sagt und nichts darüber hinaus. Bücher zum Beispiel werden nur besprochen, wenn sie eine thematische Beziehung zum Revier haben; allenfalls noch, wenn die Autoren von hier stammen. Ausstellungen in Museen und Galerien und die Bühnenprogramme der Musiktheater und Schauspielhäuser im Ruhrgebiet sollten so frühzeitig gewürdigt werden wie möglich. Einmalige Events kann man vergessen, denn was nützt eine lobende Kritik dem Leser, wenn er keine Möglichkeit mehr hat, in den gleichen Genuss zu kommen. Im Bereich Kulturpolitik bin ich wenig beschlagen, aber gerade da könnte ein kluger Kopf mit spitzer Zunge sicher für große Aufmerksamkeit sorgen. Und dann gibt ’s ja noch das weite Feld der Alltagskultur. Hier könnte ein gutes Kulturblog sogar  Neuland betreten. Wie aufregend könnte es sein, die Einkaufsstraßen des Reviers kritisch unter die Lupe zu nehmen und zu vergleichen? Restaurants nicht nur nach der Speisekarte zu beurteilen, sondern nach der Atmosphäre und dem Publikum? Wer schreibt einen episodischen Reiseführer über die Wochenmärkte an der Ruhr? Und die Flaniermöglichkeiten in Stadtlandschaft und Natur lechzen geradezu nach der Erkundung durch einen scharfsichtigen Naiven. Selbst eine Würdigung architektonischer Auffälligkeiten in lockerer Folge könnte lesenswert sein, wenn der Blickwinkel ein anderer wäre als der von schlaumeiernden Bauhistorikern.

Vielleicht könnte man mit einer Truppe von sechs bis zwölf wirklich guten Schreibern an verschiedenen Standorten im Revier ein solches Projekt auf die Beine stellen. Pro Tag müssten zunächst nicht mehr als zwei, drei Beiträge erscheinen. Die meisten Webseiten schrecken ja durch eine Überfülle von Inhalten ab. (Auch was das betrifft ist DerWesten ein schlechtes Vorbild.) Gute Weblogs sind da oft schon ein  Stück weiter, und sei ’s weil die Blogger, die als Einzelkämpfer kaum mehr als ein Posting täglich absetzen können, aus der Not eine Tugend machen. – Wenn schließlich noch die Kommentarfunktion des Blogs von kompetenten Lesern genutzt würde, die Berichterstattung und Kritik der Autoren durch gut begründete abweichende Meinungen zu bereichern, dann könnte man wohl von einem Erfolg sprechen, der den Aufwand lohnte. Aber ist das ein realistischer Plan?

[Zur letzten Folge der Serie. – Zurück zum Anfang der Serie.]