Westropolis – ein Epilog (III)

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Fünf Fragen habe ich mir gestellt und will ich hier versuchen zu beantworten, um aus dem „Experiment“ Westropolis vielleicht die eine oder andere nicht nur für mich lehrreiche Einsicht ableiten zu können. Heute also erstens: Welche Qualitäten führten dazu, dass sich anfangs bei Westropolis, wenn man den Kommentaren etwa der ersten beiden Jahre trauen darf, eine ambitionierte, gebildete und treue Leserschaft einfand?“

Die WAZ-Mediengruppe, die über ihre Tochter WestEins (heute DerWesten) dieses Kultur-Blog in Auftrag gegeben hat, ist mit ihren Tageszeitungen der unangefochtene Marktführer im gesamten Ruhrgebiet, das drittgrößte Verlagshaus Deutschlands und einer der größten Regionalzeitungs-Verlage Europas. Kein Wunder also, dass ein solcher Riese sich nur räuspern muss, und alle horchen auf. Nach meiner Erinnerung war die Werbung für Westropolis in den WAZ-eigenen Blättern eher verhalten. (Vielleicht hätte man schon darob stutzig werden sollen?) Aber auch dies Wenige reichte aus, um genügend regelmäßige Leser für ein angeregtes Geplaudere in den Kommentaren einzusammeln. Andererseits wurde das Kulturblog aber zunächst auch nicht von einer Kommentarflut heimgesucht, die ja meist die bekannten Probleme mit Spammern, Trollen und ähnlichen lästigen Gästen mit sich bringt und nicht selten viel Arbeitskraft bindet, die ausschließlich zur Schadensbegrenzung eingesetzt werden muss. Die kulturellen Inhalte schienen sich mit den Hauptgebieten Film, Musik, Design, Bühne, Literatur, Kunst und Festival an Leser aller Altersgruppen zu wenden – wenngleich man bei näherer Betrachtung der publizierten Inhalte dann doch zu dem Ergebnis kam, dass eher die unter Vierzigjährigen angesprochen wurden.

Die Kriterien bei der Auswahl der festen „Gastautoren“ blieben nicht nur mir unerforschlich. Man hätte annehmen können, dass eine regionale Verwurzelung im Ruhrgebiet die allererste Grundvoraussetzung für die Aufnahme in die Mannschaft eines Schiffes hätte sein sollen, das die Regionalität ja schon im Namen trug. Für den in Berlin lebenden Braunschweiger Johannes Groschupf und die in Leipzig lebende Sächsin Else Buschheuer traf dies definitiv nicht zu. Hatice Akyün, gebürtige Türkin, ist zwar immerhin in Duisburg aufgewachsen, lebt aber seit zehn Jahren nicht mehr im Ruhrgebiet, sondern abwechselnd mal in Hamburg, mal in Berlin. Damit reduzierte sich der Kreis der Vor-Ort-Berichterstatter auf die Mitarbeiter der Westfälischen Rundschau in Dortmund (Bernd Berke, Jürgen Overkott und Nadine Albach) sowie auf die beiden „Freien“ Ingo Juknat und Christian Scholze. Habe ich noch jemanden vergessen? Richtig: mich selbst, den Revierflaneur, gebürtig, wohnhaft und flanierend hauptsächlich in Essen. Wollte man hier schon mäkeln, dann müsste man sagen: Es wirkt auch im Rückblick reichlich konzeptionslos, was die Planer am Grünen Tisch bei der WAZ da als „Blogredaktion“ zusammengewürfelt hatten, zumal es für diese „Gastautoren“ nach meiner Kenntnis keinerlei Vorgaben zu den Inhalten ihrer Beiträge gab. Aber das feine Wort „Kultur“ ist ja geduldig wie ein Kieselstein, mit dem man so ziemlich alles machen kann: bunt anmalen, kaputtkloppen und die Splitter als Talismane verteilen – oder aber ab in die Tonne damit.

Weil die Planer gerade beim Ausprobieren waren, schließlich handelte es sich ja um ein „Experiment“, eröffneten sie wagemutig jeder Leserin und jedem Leser die Möglichkeit, selbst eigene Artikel zu publizieren, mit der kleinen Einschränkung, dass die Leser-Artikel im Unterschied zu denen der „Gastautoren“  jeweils von der Redaktion freigeschaltet werden mussten. Zur Animation für diese Leserbeteiligung wurden regelmäßig neu erschienene Bücher als Freiexemplare angeboten, unter der Voraussetzung, dass die Interessenten diese läsen und anschließend bei Westropolis besprächen. Auch dieser Versuch schien halbwegs zu glücken, wenngleich die Rezensionen, die dabei herauskamen, gelegentlich wenig schmeichelhafte Rückschlüsse auf das Urteils- und Ausdrucksvermögen ihrer Verfasser zuließen und schon aus Rücksichtnahme auf deren Leumund besser nicht dem Licht einer unbegrenzten Öffentlichkeit hätten preisgegeben werden sollen. Andererseits kann man diese grenzenlose Toleranz der Administratoren natürlich auch begrüßen, gewährten die nach gängigen journalistischen Kriterien völlig mangelhaften bis ungenügenden Publikationen doch ab und zu ausgesprochen interessante Einblicke in das Geistesleben zeitgenössischer Mitteleuropäer.

Last but not least möchte ich das optische Erscheinungsbild dieses kulturellen Internet-Auftritts loben. Vielleicht bin ich befangen, weil ich mich dort ja immerhin 16 Monate lang nahezu täglich aufgehalten und unterdessen geradezu eine Art Heimatgefühl für diese Umgebung entwickelt habe. Aber es ist schon erstaunlich, dass sich noch nach langer Abstinenz, als ich kurz vorm letzten Jahreswechsel wieder einmal bei Westropolis vorbeischaute, mein altes gutes Gefühl beim Anblick dieser farblichen und formalen Gestaltung wieder einstellte. Wenn den Entwicklern bei vi knallgrau etwas gelungen ist, dann diese Optik! Und fast scheint es mir, als wäre die Empörung der bis zuletzt Westropolis treu gebliebenen Stammgäste über die Abschaltung der Website wenigstens teilweise dieser gelungenen Optik gutzuschreiben, die sie zu schätzen gelernt haben und nun schmerzlich vermissen. Das gibt mir aber nun zugegebenermaßen bloß mein subjektives Gefühl ein, ist vielleicht reine Geschmacksache. Jedenfalls war ich sehr optimistisch, als ich mir Ende Februar 2007 die Westropolis-Seite zum ersten Mal anschaute, sonst hätte ich mich schließlich nicht um eine Stelle als „Gastautor“ beworben. Daraus müsste sich doch mit etwas gutem Willen und sehr viel Fleiß etwas machen lassen, so dachte ich. Warum trotzdem nichts draus wurde, das werde ich in den nächsten Folge versuchen zu ergründen.

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