Philip K. Dick (I)

einkleinesloechlein

Auf dieses Leseabenteuer habe ich mich lange gefreut und mich deshalb so gründlich darauf vorbereitet wie lange auf keines mehr. Nahezu alles, was von Philip K. Dick seit Anfang der 1960er-Jahre in deutscher Übersetzung erschienen ist, alle Erzählungen und alle Romane und noch manches an autobiographischem Kleinkram steht nun geriffbereit neben meiner Chaiselongue in einem freistehenden Bücherbord aus poliertem Shishamholz mit Elfenbeinintarsien.

Am Neujahrstag habe ich mit der Lektüre der Erzählungen begonnen, wie sie in der zehnbändigen Gesamtausgabe vorliegen, die der Haffmans-Verlag verdienstvollerweise in den Jahren 1993 bis 2001 herausgebracht hat. Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, mir täglich nur eine dieser 118 Geschichten zu gönnen, aber auch hier hat wieder einmal mein Suchtcharakter das Regiment an sich gerissen und alle meine guten Vorsätze überrannt, sodass ich innerhalb von nur sechs Tagen die ersten 44 Storys mit Haut und Haar verschlang.

Mein erster Eindruck übertrifft meine eigentlich schon kühnen Erwartungen noch um ein Mehrfaches!

Nicht allein, dass Dick es versteht, den Leser mit den ersten vier oder fünf Sätzen vom Fleck weg am Schlafittchen zu packen und bis zur letzten Zeile nicht mehr loszulassen, macht sein Genie aus. Und auch sein offenbar unerschöpflicher Ideenreichtum ist nicht sein wertvollstes Vermögen, obzwar es ihm immerhin erlaubt, manch grandiosen Einfall in einem Stückchen Kurzprosa zu verschleudern, aus dem andere Schriftsteller ganze Romanzyklen zimmern würden. Noch von manch weiteren Begabungen wird hier ausführlich zu reden sein – wie von seinen atemberaubenden prophetischen Talenten, seiner schlafwandlerischen Intuition bei der Verfertigung glaubwürdiger Dialoge, der klugen Ökonomie beim Einsatz seiner narrativen Mittel –, die aber doch alle nicht die Krone sind, die ihn zu einem einsamen König außer Konkurrenz macht.

Was ich wahrhaft vielbelesener Bücherfresser noch bei keinem Autor gleich welcher Zeit und Sprache so gefunden habe, das ist die chamäleonhafte Fähigkeit, sich völlig verschiedene epische Witterungen, ach was: Klimata anzuverwandeln. Philip K. Dick bringt es fertig, im Abstand weniger Tage solch eine abgrundtief hoffnungslose apokalyptische Vision wie Breakfast at Twilight zu schreiben und gleich darauf eine Geschichte wie A Present for Pat, bei der ich seit langem wieder einmal Tränen gelacht habe. Es fällt mir schwer zu glauben, dass all diese so unterschiedlichen Erzählungen aus der Feder eines einzigen Menschen stammen. Wenn ich nicht schon aus der großartigen Dick-Biographie von Lawrence Sutin wüsste, dass dieser Autor ein Acidhead und Speedy Gonzales vor dem Herrn war, ich wäre auch so drauf gekommen, denn für die Entwicklung solch einer multiplen Schriftsteller-Persönlichkeit gibt es keine andere Erklärung. Es sei denn …