Westropolis – ein Epilog (II)

sinkendesschiff

Seit heute ist die Westropolis-Seite im Web nicht mehr erreichbar. Mit vier Tagen Verspätung hat nun die WAZ-Gruppe ihre Drohung wahrgemacht und alle Inhalte aus knapp vier Jahren, etliche tausend Artikel und alle darauf eingegangenen Kommentare rückstandslos gelöscht. Das erstaunt mich nicht, denn ein Wertbewusstsein für geistige oder kreative Leistungen gab es in diesem Haus noch nie. Was mich eher schon wundert ist das Erstaunen einiger bis zuletzt dieser Plattform treu ergebenen Autoren-Kollegen und Kommentatoren, die darüber knatschten, dass man doch wenigstens die Inhalte stehen lassen könnte. Naja, solche Ewigkeitswerte haben wir hier nun auch wieder nicht geschaffen. Und wer seine eigenen Erzeugnisse für die Zukunft konservieren wollte, konnte ja verfahren wie Jens Matheuszik vom Pottblog und seine Beiträge noch rechtzeitig sichern.

Nachdem ich mich am 31. August 2008 bei Westropolis abgemeldet hatte, ging ich vielleicht wenn ’s hochkommt noch vier- oder fünfmal auf diese Seite, in großen Abständen und immer mit dem Ergebnis, dass die Schwächen dieses Auftritts fortbestanden, das Niveau der schwächsten Artikel immer noch weiter sank, einige wenige lesbare Autoren – wie Bernd Berke und Ingo Juknat – ihre Perlen vor die Säue warfen, der Kreis der ernst zu nehmenden Kommentatorinnen auf Kaffeekränzchenformat schrumpfte und der ehemalige Ausflugsdampfer Westropolis zuletzt an ein Geisterschiff erinnerte. In meinem Abschiedsgruß hatte ich ganz ohne Groll und Häme meine Kritikpunkte an der Kultur-Website der Zeitungsgruppe durchnummeriert: „1. Das war wohl nur ein Pilotprojekt für DerWesten, leider aber 2. ohne Pilot, mit einer 3. von Anfang an recht dilettantischen thematischen Struktur, die 4. anzupassen offenbar die Mittel fehlten, wie auch 5. ein engagiertes Management, das die Emphase und Energie aufgebracht hätte, die durchaus vorhandenen Potenziale über die Minimalvorgaben der Geschäftsführung hinauszuführen, geschweige denn 6. über deren vermutliche Bedenken, also 7. ein vorhersehbares (und auch vorhergesehenes) Scheitern, bei dem es 8. schließlich nun nur noch darauf ankommt, die Peinlichkeit in Grenzen zu halten, was 9. gewiss auch gelingen wird und das mir 10. für die Dauer meiner Teilnahme allerlei Illusionen beschert hat, die ich nicht missen möchte und deren schmerzvolle Zerstörung mich auf meinem Weg ein gutes Stück vorangebracht hat.“

Das könnte ich im Großen und Ganzen heute noch unterschreiben. Allenfalls die Begrenzung der Peinlichkeit gelang zuletzt immer schlechter, wie ich jetzt weiß, denn ich habe mir in den ruhigen Tagen „zwischen den Jahren“ die Bescherung noch einmal genauer angeschaut und muss sagen: Pfui Teufel! Und insofern war es endlich mal eine kluge Entscheidung der für dieses Desaster Verantwortlichen, den vergifteten Komposthaufen in Gänze abzufackeln, auch wenn dabei manches hübsche Pflänzchen mit in Rauch aufging. Was meine eigenen exakt 367 Westropolis-Artikel betrifft, immerhin ca. 6,55 % aller dort veröffentlichten rund 5.600 Artikel, so habe ich mir in kluger Voraussicht vertraglich zusichern lassen, dass mir deren Wiederverwertung in meinem eigenen Weblog vorbehalten bleibt. Mindestens jene Artikel, auf die ich in meinem Revierflaneur-Blog, also von hier aus verlinkt habe, werde ich bei Gelegenheit und vermutlich in einer überarbeiteten Version wieder online stellen.

Darüber hinaus bleibt natürlich eine Handvoll Fragen, die dieses Experiment aufgeworfen hat und zu deren Beantwortung ich eventuell den einen oder anderen Beitrag leisten könnte. Erstens: Welche Qualitäten führten dazu, dass sich anfangs bei Westropolis, wenn man den Kommentaren etwa der ersten beiden Jahre trauen darf, eine ambitionierte, gebildete und treue Leserschaft einfand? Zweitens: Welche Möglichkeiten hätten bestanden, diese Qualitäten zu kultivieren und damit das Profil der Website zu schärfen? Drittens: Warum geschah dies nicht – mit der Folge, dass sich schließlich Trolle und andere Wirrköpfe einnisteten und die ernsthaft an den kulturellen Inhalten interessierten Leser verschreckt wurden? Viertens: Welche Schlüsse kann man aus den Erfahrungen mit dem „Experiment“ Westropolis für die Voraussetzungen einer erfolgreichen Kulturplattform für das Ruhrgebiet im Internet der Zukunft ziehen? Fünftens: Wer ist interessiert und in der Lage, eine solche Plattform zu realisieren, sowohl inhaltlich als auch materiell?

In den Folgen III bis VII werde ich mich bemühen, meine persönlichen Antworten auf diese fünf Fragen zu finden.

[Zur nächsten Folge. – Zurück zum Anfang der Serie.]

One Response to “Westropolis – ein Epilog (II)”

  1. zoom » Umleitung: FDP, China, Ackermann, Krugmann, Dioxin, Westropolis, RWE, Politbarometer und Salzlager. « Says:

    […] Ein Epilog zu Westropolis: Seit heute ist die Westropolis-Seite im Web nicht mehr erreichbar. Mit vier Tagen Verspätung hat nun die WAZ-Gruppe ihre Drohung wahrgemacht und alle Inhalte aus knapp vier Jahren, etliche tausend Artikel und alle darauf eingegangenen Kommentare rückstandslos gelöscht. Das erstaunt mich nicht, denn ein Wertbewusstsein für geistige oder kreative Leistungen gab es in diesem Haus noch nie … revierflaneur […]

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