Archive for October 12th, 2010

Artikel-Nr. 0003-0348

Tuesday, 12. October 2010

diegraefintolstoietwasechauffiert

Asquith, Cynthia: Ein Leben mit Tolstoj. Die Ehe der Gräfin Sofja mit Leo Tolstoj. A. d. Engl. v. Arno Dohm. München: Biederstein Verlag, 1962. – 361 & 3 S. u. 4 Kunstdrucktaf., 20,7 x 12,4 cm, OLw. m. aufgeklebtem Rückenetikett, im OSchU., Fadenheftung. – Der Umschlag unfrisch, etwas rissig, mit Spuren von Klebefilm [s. Titelbild], das Buch selbst sehr gut erhalten. – Erste Ausgabe d. deutschen Übers. – Die engl. Originalausgabe erschien 1961 [recte: 1960] u. d. T. Married to Tolstoy bei Houghton Mifflin in Boston.

Immerhin wollte ein Essener Antiquar vor wohl annähernd 25 Jährchen auch schon vierundzwanzig Westdeutschmark von mir, für dieses angeknüselte Exemplar der Ehegeschichte des Grafen mit dem ewigen Krieg zum ewigen Frieden im Gepäck.

Die Geschichte, die Lady Cynthia Mary Evelyn Asquith (1887-1960), sonst eine Verfasserin von Gespenstergeschichten, in ihrem wohl ambitioniertesten Buch erzählt, ist ja nun jüngst wieder einem größeren Publikum durch die Verfilmung von Michael Hoffman in Erinnerung gebracht worden; oder meinetwegen dem größten Teil des ohnehin schon kleinen Publikums, das sich für dergleichen überhaupt noch interessiert, erstmals zu Gemüte geführt worden. Und wenn sie in der verfilmten Version eine gewisse Aufmerksamkeit erfuhr, dann lag das vermutlich weniger an den einst so aufregenden ,Prinzipien‘ des Grafen Tolstoi, an denen sich seine Gattin aufrieb und die sie schier zur Verzweiflung trieben, als vielmehr an den mimischen Befähigungen von Helen Mirren, die die Sofia darstellen durfte. Dass Eheständigkeit bei aller ausgefransten Alleingangserziehungskunst überhaupt noch eine Gegenwart hat, von der Zukunft ganz zu schweigen, das ist doch ein kleines Wunder, nicht unbedingt von des Grafen Gnaden.

Ich frage mich, ob es ein besser dokumentiertes Beispiel für den ehelichen Zank gibt, als dieses Buch. Jeder Gatte und jede Gattin, jedes Ehepaar, das sich bis auf Blut zankt, sollte verpflichtet werden, dieses Buch zu lesen, wieder und wieder, bis ihm endlich alle Lust, zu zanken, ausgetrieben ist. Wenn man aber dieses Buch als Single liest, so wird man sich bestätigt finden, diese Hölle auch künftig in weitestem Bogen zu umgehen. „Jedem Zank folgte eine leidenschaftliche Versöhnung. Einmal meint sie danach: ,Ich könnte sterben vor Glück und vor Demut in Gegenwart eines solchen Mannes … Ich liebe ihn bis zum äußersten von ganzem Herzen.‘ Zwei Tage später klagt sie, ihr sei zumute wie ,einer Teufelin in Gegenwart eines Heiligen‘.“ (S. 48).

Bei Begleichung des Rechnungsbetrags in Höhe von 53,50 Euro geht dieses Buch in den Besitz von A. B. in Workum (Niederlande) über.

Artikel-Nr. 0002-1186

Tuesday, 12. October 2010

selbstmordschwesternmordenfroehlichansichselbstherum

Eugenides, Jeffrey: Die Selbstmord-Schwestern. Roman. A. d. Am. v. Mechthild Sandberg-Ciletti. Berlin: Byblos Verlag, 1993. – 210 & 2 S., 21,4 x 13,8 cm, goldgepr. OPb. m. OSchU. – Kopfschnitt etwas nachgedunkelt, sonst gut. – Erste Ausg. d. dt. Übers. – Die am. Originalausg. ersch. zuerst 1993 u. d. T. The virgin suicides bei Farrar, Straus and Giroux in New York. – ISBN: 3-929029-12-X.

Als ich das Buch kaufte, kurz nach seinem Erscheinen, häuften sich mal wieder die vorzeitigen Abdankungen in meinem allernächsten Bekanntenkreis. Es scheint, dass ich Suizidanten geradezu anziehe wie das Fliegenpapier die Stubensurrer. Schrrrr – und flapp! Bitte, ich will jetzt nicht makaber klingen, das Thema ist ja aller Ehren wert. Vielleicht ist der Selbstmord das Dessert der Endzeit-Gourmets.  Zusammenhänge? Bitteschön. In einem meiner Bücher der Bücher, eins von denen, die ich nie verkaufen werde, stieß ich anno Tobak auf den Hinweis: „morgenthaler, w., letzte aufzeichnungen von selbstmördern, 1945“ (S. CCI). Solche authentischen Hinterlassenschaften zeugen doch vermutlich von ehrlicheren Einsichten in die kompromisslose Ausweglosigkeit eines Daseins, als der Roman eines Mannes, der sich nicht umbringen, sondern bloß reüssieren will als Romancier, und sei’s unter Aufbringung aller spektakulären Mittel, Mord und Totschlag, gar Selbsttotschlag, noch dazu von ganzen Geschwistergruppen. (Eugenides wird ja hierzulande als würdiger Konkurrent und früher Freund von Jonathan Franzen verkauft.)

Aber ich will nicht ungerecht sein. Ich habe das Buch kurz nach Kauf in wenigen Tagen ,verschlungen‘, wie man so sagt. Aus unerfindlichen Gründen klebte zwischen den Seiten 54 und 55 ein Post-it mit der Notiz: „Hallo Jacinta, hallo Susanne! Wir könnten uns evtl. etwas verspäten. Wartet unbedingt! Manuel + Ulla“. Wenn ich mich heute frage, warum Gijs Sierman für ihre (seine?) Umschlaggestaltung [s. Titelbild] ein Puzzle-Raster gewählt hat, muss ich gestehen: Ich weiß es nicht. Ich weiß es vielleicht nicht mehr. Eventuell hätte ich auf diese Frage eine Antwort geben können, vor Jahr und Tag, knapp nachdem ich das Buch gelesen habe. Aber immerhin hatte ich das Buch doch nicht sofort nach der Lektüre vergessen, denn als ich Jahre später den wundervollen Film Lost in Translation von Sofia Coppola sah, erinnerte ich mich sehr gut, dass diese Regisseurin mit einer Verfilmung des Eugenides-Romans debütiert hatte. (Diese Verfilmung habe ich allerdings bis heute nicht gesehen.)

Wenn ich heute, kurz vorm Abschied, das Buch willkürlich aufschlage, fällt mein blasser Blick, unschuldig wie er immer ist, auf den Satz: „Letztlich war es nicht der Tod, den sie überraschend fand, sondern die Hartnäckigkeit des Lebens.“ – Yeah, mijnheer, das finde ich ebenso.

Bei Begleichung des Rechnungsbetrags in Höhe von 25,35 Euro geht dieses Buch in den Besitz von R. H. in Düsseldorf über.

Ausverkauf en détail

Tuesday, 12. October 2010

allerleibuecher

Probehalber habe ich mal ein Stück aus meiner Bibliothek nahezu an mich selbst verkauft, um für das künftige Prozedere dieser neuen Selbstdarstellungsweise einen verbindlichen Rahmen zu konstituieren.

Der Kunde resp. Käufer erhält neben dem Buch eine Musterrechnung und auf deren Rückseite ein Musterzertifikat zu seinem erworbenen Unikat aus der streng limitierten Auflagenarbeit Bibliothek des Revierflaneurs.

Gleichzeitig erscheint zum Abschied hier ein Artikel über das veräußerte Buch – mit einer präzisen bibliographisch-antiquarischen Beschreibung, einer kurzen Erklärung, wie und warum es in meinen Besitz gelangte, einer grundsätzlichen Bewertung des betreffenden Werks bzw. seines Autors aus meiner heutigen Sicht, einer sehr persönlichen Liebeserklärung an das spezielle Buch und einem Abgesang in Heller und Pfennig.

Die Preise, zu denen ich meine Unikate im Rahmen dieser Auflagenarbeit feilbiete, sind freibleibend. Interessanterweise spiegelt ja die Reihenfolge des Abverkaufs, der Stück für Stück in meinem Weblog unter der Rubrik Ausverkauf nachvollziehbar ist (und bleibt), einen allgemeinen Trend, die gegenwärtige Mode unter hiesigen Lesern (oder immerhin Käufern), das populäre und aktuellste Interesse wider. Der auf diese Weise ausgefilterte Bodensatz wird aber, je konzentrierter desto kurioser, in seinem Verkaufswert steigen, denn die Erwerber der letzten verbleibenden Stücke sind die eigentlichen Helden dieses nicht auf Durchschnittlichkeit, sondern aufs Extreme zielenden Kommerzexperiments. Dies wird sich gewiss auch in der Kuriosität der Abschiedsgrüße an die letzten Bücher widerspiegeln. Somit ist nicht nur jedes der auf diesem Weg und auf diese Weise veräußerten Bücher ein Pinselstrich zu meinem intellektuellen Selbstporträt und zugleich ein Dokument unserer Kultur in dieser Zeit; sondern es ist auch die von mir nur mittelbar und begrenzt beeinflusste Reihenfolge, in der die Perlen meiner Bibliophilie hier von der Schnur gezogen werden, die uns ein markantes Zeugnis unserer gegenwärtigen Denkungsart, unserer Vorlieben und Abneigungen ausstellt. Zukünftig wird man jedenfalls sagen können: Je höher die Abverkaufsnummer, desto exquisiter, abgedrehter, freakiger der Geschmack des spät berufenen Erwerbers. (Oder, für Blöde: Je später die Buchkäufe, desto höher die Preise!)

Mit Beginn dieser Internet-Verscherbelung einer Bibliothek, die als Ganze ein unersetzliches Kunstwerk ist, sind genau 1.475 Bücher lieferbar. Die komplette Verkaufsedition ist vorweg auf 3.333 Bücher limitiert. Sie soll – abzüglich der bis dahin veräußerten Bücher – bis spätestens zum 31. Dezember 2011 verfügbar sein.

Artikel-Nr. 0001-1535

Tuesday, 12. October 2010

initialenvonkarlvalentin

Valentin, Karl: Sturzflüge im Zuschauerraum. Der gesammelten Werke anderer Teil. Hrsg. v. Michael Schulte. M. e. Vorw. v. Kurt Horwitz.  München: R. Piper Verlag, 1969. – 308 & 3 S. & 17 unpag. Kunstdruck-Taf. m. 22 Abb., 20,4 x 12,2 cm, OLw. m. montierten Leinenrücken- u. -deckelschildern, Fadenheftung. – Ohne den OSchU., Einband etwas angestaubt, an den Gelenken minimal eingerissen, eine Ecke bestoßen, Schnitt angestaubt, Bleistiftwidmung auf Vorsatz, leicht muffig, insgesamt noch gut. – Erstausgabe dieser Zusammenstellung.

Die Anschaffung dieses Buches fällt wohl in die Zeit, als ich Karl Valentins filmisches Werk mittels VHS-Videocassetten ,aufarbeitete‘. Das dürfte so Anfang der 1980er-Jahre gewesen sein. Was mich damals in Bann schlug, war die Totalität seines Gesamtwerks als eine alle Lebensbereiche durchdringende Besessenheit. Er war ja nicht bloß Schriftsteller, Komiker, Sänger, Musiker, Tänzer, Pantomime, Kostümschneider, Maskenbildner, Schauspieler, Stimmenimitator, Kunstraucher, Hanswurst, Dadaist, Surrealist usw., sondern auch noch Filmregisseur, Hörspieldramaturg, Requisiteur, Photograph, Sportler, Akrobat, Chef & Geliebter (von Liesl Karlstadt), Tierzüchter, Dompteur, Dressurreiter und nicht zuletzt Museumseinrichter. Sein legendäres Karl-Valentin-Museum verfolgte mich als Phantom einer optimalen Antibürgerwohnung. Es in der Realität anzuschauen – denn es gibt ja wohl eine Touristenattraktion dieses Namens in München –, das kam für mich gar nicht in Betracht; erstens, weil ich meine phantastische Imagination um keinen Preis mit der sicher ernüchternden Realität konfrontieren wollte, und zweitens, weil ich ohnehin nicht reise. Aber ich baute mir desto lieber in meinem Souterrain in der Frankenstraße 215 mein eigenes Kuriositätenkabinett zusammen, das zugleich zur Bühne meiner Literarischen Soireen XXIX bis CIV (1. November 1991 bis zum 1. August 2008) werden sollte. Zuvor aber benamste ich meinen zweiten Sohn nach ,Karl dem Großen‘.

Irritierend bis heute erscheint mir an Valentin zweierlei. Erstens, dass er es vermochte, eine dermaßen avancierte, geradezu avantgardistische Komik unbemerkt ganz nah ans ,gemeine Volk‘ heranzuschmuggeln. Und zweitens, dass ein Mann von dieser Herzensgüte – denn wie soll man ohne Herzensgüte ein erfolgreicher Humorist sein? – dermaßen herzlos mit seinen engsten Mitmenschen, hier: besagter Liesl Karlstadt umgehen konnte.

Das anlässlich dieses Abschieds von einem schönen Buch besonders zu würdigende Detail ist rein äußerlich, die beiden auf Deckel und Rücken montierten Papieretiketten, vorn die ineinander verschlungenen Initialen [s. Titelbild]. Dabei fällt mir auf, dass K ja nun nicht nur der erste Buchstabe von Karl, sondern auch von Karlstadt ist. Aber wir wollen die Buchstabenmystik nicht zu weit treiben: Liesl hieß mit bürgerlichem Namen Elisabeth Wellano.

Bei Begleichung des Rechnungsbetrags in Höhe von 26,35 Euro geht dieses Buch in den Besitz von Valentin Hessling über. [In diesem Fall wurde der Rechnungsbetrag bereits beglichen von Ursula Heßling anlässlich des heutigen, 25. Geburtstags unseres Sohnes.]