Sentimentale Reise, gelumbeckt

yorick

Worauf ich seit bald zwanzig Jahren warte, das ist endlich eingetreten. Der kongeniale Tristram-Shandy-Übersetzer Michael Walter (*1951) hat nun auch Laurence Sternes zweites großes, kleineres Werk ins Deutsche übertragen: Eine empfindsame Reise durch Frankreich und Italien. Von Mr. Yorick (Berlin: Verlag Galiani, 2010).

Durch diesen Paukenschlag wurde ich erstmals auf den jungen Berliner Galiani-Verlag aufmerksam, der im vergangenen Herbst als Kiepenheuer&Witsch-Imprint von Wolfgang Hörner und Esther Kormann aus der Taufe gehoben wurde. Hörner hat selbst das Nachwort zu diesem Büchlein geschrieben, dem wir entnehmen, dass es schon mit der Übersetzung des Originaltitels – A Sentimental Journey trough France and Italy – ein Problem gab. Das Adjektiv “sentimental” war im Englischen ein Neologismus. Wie sollte man es ins Deutsche übertragen? Der bis heute meistgedruckte Übersetzer des Buches, Johann Joachim Christoph [nicht Christian, wie Hörner S. 328 fälschlich schreibt!] Bode (1730-1793), entlehnte hierfür das von Lessing gerade neu gebildete Wort „empfindsam“, das auf kurzem Weg bald zur Bezeichnung einer literarischen Bewegung herhalten durfte. Bodes Übersetzung wurde nicht nur viele Male neu aufgelegt, sondern auch von manchem vorgeblichen Neuübersetzer stillschweigend oder ausdrücklich zugrunde gelegt und lediglich modernisiert, wie Hörner in seiner Auflistung der überaus zahlreichen deutschsprachigen Ausgaben zwischen 1768 und 1963 vermerkt. Auch ich besitze eine solche Bode-Bearbeitung (Lawrence Sterne: Yoricks empfindsame Reise durch Frankreich und Italien. Übers. v. J. J. Bode. Bearb. u. Nachw. v. Franziska Meister. M. e. Titelill. u. 39 Federzeichn. v. Curth Georg Becker. Hamburg: Dr. Ernst Hauswedell & Co., o. J. [1946]). Sie kann ich gelegentlich zum Vergleich hinzuziehen, denn der Neuübersetzung geht naturgemäß der Ruf voraus, sexuelle Anspielungen des Autors deutlicher werden zu lassen als Bode und seine Zeitgenossen und Nachfolger in einer noch so viel „keuscheren“ Ära – und es könnte durchaus interessant sein, diese Differenz im Einzelfall nachzuvollziehen. Doch darüber ein anderes Mal. Heute will ich mich nur mit der materiellen Ausstattung dieses neuen Buches befassen.

Als in den Jahren 1983 bis 1991 im Zürcher Haffmans-Verlag die Erstausgabe der Walter’schen Tristram-Shandy-Übersetzung erschien, da imitierte diese Ausgabe sogar die Editionsweise des Originals. Jenes wie diese erschienen über einen Zeitraum von acht Jahren in neun Einzelbänden. Nun hätte man auch bei der Sentimental Journey ähnlich verfahren und die beiden ersten Teile des fragmentarisch geblieben Werkes in zwei separaten Bänden erscheinen lassen können, aber dann wäre die Ausgabe vermutlich zu teuer geworden. Was ich nicht bitter genug beklagen kann, ist ein anderer Mangel. Der Nachtwächter Bonaventura hat in einer frühen Blog-Rezension die Ausstattung des Buches gelobt und mit einer Einschränkung als „vollkommen“ bezeichnet. Wie gern würde ich mich diesem Lob anschließen, doch die Einschränkung bedeutet nun einmal das Schlimmste, was man einem Buch überhaupt antun kann: Es ist gelumbeckt!

Was das heißt, habe ich an anderer Stelle bereits einmal deutlich gemacht. Auf alle anderen offensichtlichen Vorzüge des Einbands, die Bonaventura aufzählt, könnte ich dankend verzichten: auf den flexiblen, bedruckten Leineneinband, auf die abgerundeten Ecken und schon erst recht auf das modisch gewordene Lesebändchen, das ohnehin bald ausfranst und schmuddelig wird – wenn das Buch nur fadengeheftet wäre! Manchmal ersehne ich die Zeiten der Interimsbroschur zurück, wo ein fadengeheftetet Buchblock bloß in etwas stärkeres Papier eingeschlagen war. Damit ging man zu einem Buchbinder seiner Wahl und ließ das Buch nach den eigenen Vorstellungen prachtvoll in Leinen, Leder oder Pergament für die Ewigkeit einfassen, ganz nach Gusto und Geldbeutel – und nur dann, wenn der Inhalt diesen Einsatz verlohnte. Dies wäre ja in diesem Falle durchaus angeraten, denn das Buch besticht durch eine exquisite Typographie, eine exzellente Übersetzung, solide Anmerkungen und ein informatives, illustriertes Nachwort, wie Bonaventura richtig anmerkt. Desto bedauerlicher, dass es für den entscheidenden Lebensfaden, an dem doch alles hängt, nicht gereicht hat.

Wo bleibt die Initiative zur Rettung der Buchkultur, die sich auf die Fahnen schreibt, das elendigliche Lumbecken wenigstens bei wertvollen Büchern zu bekämpfen und vor allem die Buchkäufer für den kleinen, aber entscheidenden Unterschied zwischen Lumbeck und Fadenheftung zu sensibilisieren? Sonst werden in hundert Jahren auch die wertvollsten Bücher aus unserer Ära nur noch eines sein: traurige Loseblattsammlungen!

[Titelbild: Federzeichnung v. Curth Georg Becker aus der erwähnten Ausgabe von Yoricks empfindsame Reise durch Frankreich und Italien, S. 122.]