Aus der Mitte (II)

bloodygolfballs

Marcus von Hochstengel schätzt diese verregneten Wochenenden im Spätwinter nicht sehr, wenn er einerseits die Schnauze voll hat vom Indoorgolfen, andererseits aber die Trainingsbedingungen unter freiem Himmel an Kneippsches Wassertreten erinnern und der Trolley alle nasenlang im Morast steckenbleibt. Zudem hat er schlecht geschlafen wegen dieser schwelenden Steuersache, die noch längst nicht ausgestanden ist. Jetzt ist schon von tausendeinhundert Verdächtigen die Rede, die die Fahnder einen nach dem anderen unter die Lupe nehmen wollen. Eigentlich vertraut er ja dem Rat seines in fiskalischen Angelegenheiten wesentlich beschlageneren Bruders. Max meint, dass er sich notfalls auf seine tragisch verunglückte Frau zurückziehen soll. Aber dass er so eine Strafe vermutlich abwehren kann, ist ja nur die eine Seite der Medaille und auch eine saftige Steuernachzahlung kein Zuckerschlecken.

Immerhin steigt von Hochstengels Laune, wenn ihm wieder einfällt, dass er die bald sechsjährige Tochter nun endlich in einer Privatschule bei Luzern hat unterbringen können. Das verwöhnte Blag hat ihm in den vergangenen Wochen wahrlich den allerletzten Nerv geraubt. Gerade jetzt wieder vernimmt sein feines Ohr, dass Naomi beim BattlefieldSpielen im Salon auf ihrem Laptop reihenweise Heckenschützen des Vietcong eliminiert.

Aber die pinkfarbenen Koffer seines halbverwaisten Töchterchens stehen gepackt in der Empfangshalle. Spätestens in einer Stunde müsste Kurt mit dem Wagen zurück von der Waschanlage kommen und ihn erlösen. Dann bräche der Chaffeur mit Naomi Richtung Schweiz auf. Marcus von Hochstengel konnte noch nie so recht glauben, dass sich Karoline diesen Wechselbalg tatsächlich bei ihm eingefangen hatte. Weder die Segelohren noch die engstehenden Augen kamen bei seinen gräflichen Ahnen vor. Und schon gar nicht hatte Naomi diese hässlichen Ausrutscher ihrer Physiognomie von ihrer unseligen Mutter geerbt. Deren tadelloses, nahezu berückend schönes Äußeres war ja schließlich der einzige Grund gewesen, warum er Karoline Dorffmann vor den Traualtar geführt hatte.

Von Hochstengel beschließt, sich die Zeit bis zu Kurts Rückkehr mit einer Trainingsstunde in seiner Fitnesshalle zu vertreiben. Hinter seiner Tischtennisplatte ist eine Ballwurfmaschine aufgebaut, die wahlweise Konterbälle, Unterschnittbälle, hohe Abwehrbälle und Topspins servieren kann, von soft bis superhart. Marcus geht in Abwehrstellung und legt den Schalter um. Er hat diesmal nicht den Hauch einer Chance.

Dass es Naomis Idee gewesen sein sollte, das Magazin der Wurfmaschine zur Abwechslung mal mit Golfbällen zu befüllen, das konnte sich der herbeigerufene Hausarzt „eigentlich nicht vorstellen“. Die Reise nach Luzern wurde angesichts dieses tragischen Unglücksfalls zunächst einmal abgesagt.