Buchwesen (II)

indif

Ich werde im Folgenden umstrittene Themen, die die Zeitgenossen vorübergehend oder dauerhaft anziehen wie die Mücken das Licht und sie scharenweise zu ambitionierten Kommentaren in den Weblogs hinreißen, buchverdächtig nennen. Denn wenn Menschen, die meist durch jahrzehntelangen passiven Medienkonsum nahezu sprach- und völlig schriftlos geworden sind, nun in großer Zahl ihren Frust in die Tastatur hämmern, dann wäre man ein schlechter Menschenkenner und noch schlechterer Kaufmann, wenn man hier nicht einen potenziellen Bestseller witterte.

Üblicherweise werden heiße Kontroversen in den Verlagshäusern nach dem Pro-und-kontra-Schema polarisiert. Das hat den Vorteil, beide einander feindlich gegenüberstehenden Zielgruppen „abschöpfen“ zu können, wenngleich der Zynismus selten so weit geht, dass beide Bücher im gleichen Verlag erscheinen. Sehr schön gelang dies beispielsweise Mitte der 1970er-Jahre mit dem Tandem Alice Schwarzer und Esther Vilar. Die Feministin und die Anti-Feministin trafen in den gerade erst im BRD-Fernsehen populär werdenden Talkshows aufeinander und führten vor, wie telegen Unversöhnlichkeit sich präsentieren kann. Damals konnte man nur vermuten, dass solche öffentlich ausgetragenen Lagerkämpfe bloß die Fronten verhärteten und so gut wie nie zu einem Erkenntnisfortschritt hüben wie drüben führten, geschweige denn zu einem Kompromiss. Heute ist man, was das betrifft, nicht mehr auf Spekulationen angewiesen. Unter jedem kontrovers kommentierten Blogartikel kann man bis zum Überdruss nachlesen, dass sowohl die Kontras als auch ihre Gegner, die Pros sich im Besitz der alleingültigen Wahrheit wähnen und davon desto fester überzeugt sind, je länger das Hickhack dauert.

Ganz nebenbei wird bei dieser Betrachtung auch der alte aufklärerische Optimismus endgültig zu Schanden, dass das öffentliche Streitgespräch zu einem friedlichen Ausgleich der Gegensätze führen könne, auf dem Wege über ein wechselseitiges Verständnis der Kontrahenten füreinander. Dies mag in den gepflegten Kreisen gut versorgter Intellektueller vorstellbar sein. Dass Otto Normalzerstörer aber, was die Streitkultur betrifft, ganz anders gebaut ist und jeden seiner Standpunkte mit Zähnen und Klauen verteidigt, als ginge es um die nackte Existenz, das hatten Zivilisationsskeptiker zwar schon immer geahnt, jetzt aber ist es dank Internet unumstößlich bewiesen.

Alberto Manguel hat einmal in seiner Geschichte des Lesens bemerkt, und Jacque Bonnet hat es soeben in seinen Bekenntnissen eines Bibliomanen in Erinnerung gerufen, dass es wohl so gut wie kein Buch gebe, in dem nicht wenigstens ein interessanter Satz stehe. Dem kann ich nur beipflichten, wobei ich, damit kein Missverständnis aufkommt, sicherheitshalber hinzufügen möchte: Gerade die dümmsten Sätze können in einem klugen Kopf zu den interessantesten Einsichten führen.

Und genau so verhält es sich mit den borniertesten und stursten Hahnenkämpfen in den Weblogs unserer Tage. So stieß ich beim unten erwähnten taz-Artikel von Heiko Werning auf folgenden Kommentar eines Klimaskeptikers (leicht gekürzt und stellenweise stillschweigend korrigiert): „Jetzt möchte ich mal hören, ob ich das richtig verstehe. Die Katastrophenbefürworter sagen, weil sich um die Erde ein Mantel von Treibhausgasen legt, heizt sich die Erde von innen heraus auf. Hab ich das soweit richtig verstanden? Wieso ziehe ich mir eigentlich Textilien an? Müsste ich mich nach dieser Theorie nicht auch von innen her aufheizen? Meine Körperwärme kann nicht nach außen abfließen. Demzufolge müsste ich doch immer heißer werden? Und kommen wir mal abseits jeglicher Beweise zu folgendem. Ich bin 43 Jahre und kann mich noch gut an meine Kindheit erinnern. Und an die schönen Sommer die es damals gab, wenn wir als Kinder den ganzen Sommer draußen barfuß durch die Natur getobt sind, draußen im Garten übernachtet haben. Und wie sang Rudi Carrell damals ,Wann wird‘s mal wieder richtig Sommer? Ein Sommer wie er früher einmal war?‘ Und jetzt schauen wir uns unsere Sommer heute an. Ich bin leidenschaftlicher Motorradfahrer. Ich achte also sehr genau auf das Wetter. In den letzten Jahren war meine wichtigste Bekleidung beim Fahren meine Regencombi. Als junge Bengels sind wir im Sommer, weil es warm war, noch mit kurzen Hosen gefahren. Sogar nachts. In den letzten Jahren bin ich die ganzen Motorradsaisons nur mit langen Unterhosen drunter gefahren und [habe] vor allem immer die Regenkombi wenigstens mitgenommen. Bis auf ein paar wenige sehr warme Tage, nur kaltes Scheißwetter im Sommer! Und dann höre ich die ganze Zeit: globale Erwärmung. Jetzt könnte ich als Motorradfahrer ja sagen, wo ist denn die globale Erwärmung wenn man sie braucht? Jetzt aber mal im Ernst. Ich brauche keine Tabellen oder Diagramme, um zu erkennen, dass anscheinend die Erwärmung ausfällt. Eher das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Und wenn einer weiter oben fragt, wo denn der ganze Schnee bleibt? 50 Grad [minus] in Sibirien, Schneestürme mit 20 Toten in den USA – also für mich klingt das nicht gerade nach globaler Erwärmung. Und komm mir jetzt keiner von diesen Untergangsfetischisten damit, ich bildete mir das alles bloß ein. Abseits aller Doktoren und Professoren und IPCC und dem ganzen Geschisse: Leiden die alle unter Alzheimer? So, musste ich mal loswerden! Schönen Tag noch.“

[Wird fortgesetzt.]