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Unversöhnt

Saturday, 21. November 2009

Erst nach Beendigung meines WerWeißWasLektüreberichts entdeckte ich das Interview, das Silvia Bovenschen dem womöglich momentan gewieftesten Literaturpropagandisten unterm Tarnkäppchen der Kritik in Feuilleton, Funk und Fernsehen, Denis Scheck (* 1964), auf der Frankfurter Buchmesse gewährt hat und das man nun in voller Länge online anhören, -sehen und -staunen kann.

Zu Beginn gleich ein Gutes, was über dieses Gespräch zu sagen ist: Es ist lang! Das ist insofern erfreulich, weil es den nötigen Raum lässt für allerlei Randständiges, das nicht unmittelbar und schnurgerade auf die Frage abzielt, ob sich die Neunzehneurofünfundneunzig für das vorgestellte Buch denn nun lohnen oder nicht. Und gerade diese Nebensächlichkeiten an der Peripherie sind die unerwarteten Tinten- oder meinetwegen – schließlich geht es ja um einen Krimi – Blutkleckse, die das zuvor gemachte Bild vom Buch und mehr noch von seiner Autorin um ein paar überraschende Akzente bereichern. Gerade auf der Buchmesse werden ja unzählbare, unerträgliche, unnötige Un-Gespräche geführt, zwei- bis vierminütige Small Talks, die im ganz wörtlichen Sinne im Vorbeigehen entstanden sind, aber auch insofern, als sie nur ein Aneinandervorbeireden dokumentieren, im Rhythmus eines gut gelaunten, scharf beschleunigten Aneinandervorbeifragens und -antwortens.

Hier aber findet die Autorin fast eine halbe Stunde lang Zeit und Gelegenheit, etwas über das Interieur ihres Elternhauses zu erzählen, über grottenschlechte Impressionisten an den Wänden und über die unterschiedlichen Bücherstapel auf den Nachttischen von Mama und Papa Bovenschen, hie Proust und Daphne du Maurier traulich vereint, dort zwei Stapel über die Kunst der Hethiter [s. Titelbild], worin sie die katholische und die protestantische Variante des Bildungsbürgertums repräsentiert sieht; und schließlich findet sie Zeit zu einer längeren declaration of human faults, die ich gern einmal als kleine Kostprobe in ganzer Länge wiedergeben will.

Scheck hatte gefragt, ob wir wirklich so dämlich und beschränkt seien wie die Menschen in Bovenschens Roman, wofür sie dort von den vier Außerirdischen zu Recht verworfen werden, worauf die Autorin erwidert: „Na ja, wenn ich mir das so anschaue, was in einigen Weltgegenden und zuweilen auch bei uns so passiert, denke ich, mit dieser Gattung kann nicht sonderlich viel los sein, und dann kommt es mir auch so vor, als wären wir eher so eine ,Panne der Evolution‘ als die ,Krönung‘ irgendeiner ,Schöpfung‘ … und ich denke, diese Schwärze ist auch in mir. Also, ich will das nicht leugnen: Ich habe die pessimistischsten Annahmen über die Natur des Menschen. – Aber ich habe natürlich auch … ich habe eine Liebe zu vielen Dingen, ich habe eine Liebe zu vielen Menschen, ich finde, dass es so etwas gibt wie Schönheit. Und das besteht unversöhnt in mir, nebeneinander, ich will da auch nichts versöhnen, und vielleicht geht all mein Schreiben darauf hinaus, und das literarische Schreiben gönnt mir im Unterschied zum theoretischen oder essayistischen die Möglichkeit, das nebeneinanderher laufen zu lassen, also da nicht ,einerseits – andererseits‘ sagen zu müssen oder ,dialektischerweise‘ oder irgendsowas, ja? Sondern ich kann das nebeneinander hart stellen, und dann kann sich jeder das heraussuchen, wozu er neigt. Also ich kann das in mir nicht versöhnen – das ist eine private Antwort, die ich ihnen da gerne gebe – und will es inzwischen auch nicht mehr in mir versöhnen.“ (Denis Scheck: Interview mit Silvia Bovenschen vom 16. Oktober 2009 © ARD.)

Ganz werde ich den Verdacht nicht los, als sei diese Melancholie, die hier beschrieben ist, schon dem Kind Silvia Bovenschen einverleibt gewesen. Über dieses, so Bovenschen wörtlich, „eklige“ Kind sagt sie rückblickend einen Satz, der in seiner Unbarmherzigkeit kaum zu überbieten ist und der im angeregten Geplaudere über ein anregendes Buch am Rande einer maßlosen Messe wohl unterging, weshalb ich ihn hier für die Ewigkeit retten möchte. Sie sagt den Satz: „Ich hätte mich nicht gehabt haben mögen.“

[Titelbild von Noumenon v. 13. Juli 2007: “A rather close up photograph of Eflatunpinar’s main part. Eflatunpinar is a Hittite site found in modern Beyşehir district of Konya/Turkey.” GNU Free Documentation License.]