Im Jungle

Die „linke Wochenzeitung“ (Selbsttitulierung) Jungle World, die sich 1997 nach einem Redakteursputsch in der Jungen Welt ausgründete, gehört zu jenen sich als „kritisch-undogmatisch-antiimperialistisch-linksliberal-unorthodox“ verstehenden Medien, die ich regelmäßig, wenngleich nur sporadisch lese, um mich über den jeweils aktuellen Zustand der Debattenkultur in Deutschland zu unterrichten.

Heute stolperte ich dort zufällig in einer Einlassung des Aachener Politikwissenschaftlers Dr. Richard Gebhardt (* 1970) zur neuesten Provokation des Kölner Kardinals Joachim Meisner (* 1933) über ein bemerkenswertes Statement zu einem Thema, das mich andernorts auch einmal beschäftigt hat: Passt das von Gerhard Richter gestaltete Südquerhausfenster im Kölner Dom zu einem christlichen Sakralbau? Gebhardt schreibt dazu: „Das von Gerhard Richter geschaffene Domfenster war nicht nach dem Geschmack des Erzbischofs. Es passe eher in eine Moschee, meinte er. […] Der Kölner Kardinal ist ein Wiederholungstäter. Empörte Proteste werden ihn auch fortan nicht beeindrucken. Vielleicht aber der Umstand, dass ein Blick auf das von Richter gestaltete Fenster wöchentlich mehr Menschen in den Dom lockt als alle Predigten des Erzbischofs im ganzen Jahr.“

Mal abgesehen davon, dass ich nie verstehen werde, warum ein kritischer Geist bei einem Heimspiel seine begrenzten Kräfte darauf verschwendet, seine gleichgesinnten Leser zu beifälligem Kopfnicken zu veranlassen, immer wieder und wieder den billigen Konsens beschwörend, der in diesem Falle heißt, dass der Herr Meisner ein so makelloses Feindbild abgibt, wie man’s schon lange nicht mehr hatte; abgesehen auch davon, dass das Missfallen des Kardinals nicht auf ästhetische Bewertungen gründete, also mitnichten, wie Gebhardt schreibt, ein Geschmacksurteil war, sondern vielmehr ein theologisch hergeleitetes; und schließlich auch abgesehen von der durchaus bezweifelbaren, erkennbar schadenfrohen Annahme, Meisner sei durch den Zulauf zu beeindrucken, den das von ihm ungeliebte Fenster im Gegensatz zu seinen Predigten findet, denn man könnte zum Beispiel fragen, ob sich dieser Zulauf nicht zu einem beträchtlichen Teil dem Protest des Kardinals gegen dieses Glasfenster verdankt – abgesehen also von all diesen Unschärfen und Oberflächlichkeiten in Gebhardts Argumentation interessiert mich vor allem die Frage: Was bedeutet das Fenster?

Dass es nichts darstellt, in dem bunten Mosaik aus 10.512 farbigen Glasquadraten kein gegenständliches Motiv erkennbar ist und auch keine abstrakte Form, wie zum Beispiel ein Kreuz oder ein Muster, das sieht jeder Betrachter auf den ersten Blick. Ergäbe sich etwa ein Ornament, so wäre die Gedankenverbindung des Kardinals halbwegs verständlich, der hier aus unerfindlichen Gründen eine Nähe zur Gestaltung islamischer Moscheen zu erkennen meint. Allerdings hat schon Nicola Kuhn seinerzeit im Tagesspiegel mit Recht darauf hingewiesen, Meisner offenbare mit dieser Assoziation „seine Ahnungslosigkeit, was christliche Kunstgeschichte betrifft. Nicht nur im Islam, auch hier gibt es das Ornament seit jeher. Die vom Kardinal offenbar bevorzugte Gegenständlichkeit ist eine Variante der Kirchenfensterkunst. Zugleich watscht er die Muslime und die maurische Formensprache ab. Als sei ornamentale Kunst beliebiger als figürliche Glasmalerei – und weniger wert.“

Aber wir können das Ornament getrost abhaken, hier ist keins zu erkennen. Nun könnte sich hinter der Anordnung ja dennoch eine Regelmäßigkeit verbergen, wenn etwa jede Farbe einer Zahl oder einem Buchstaben entspräche und sich aus der Zahlenfolge ein Code ergäbe, zum Beispiel für das menschliche Genom. Aber der Künstler hat deutlich gemacht, dass dem nicht so sei und die Anordnung rein zufällig. Er habe lediglich dort eingegriffen, wo sich zufällig doch erkennbare Muster einstellten, zum Beispiel habe sich durch eine Häufung von weißen Quadraten in einer Ecke eine Eins ergeben. Den Vorwurf, sein Werk passe besser in eine Moschee, wies Richter befremdet zurück. Er habe keine Beziehung zum Islam und hätte niemals einen solchen Auftrag angenommen. Richter gab zu, dass seine Fenstergestaltung nicht katholisch sei. „,Aber wie sähe eine katholische Gestaltung aus, die nicht plagiatorisch die Historie beschwört und nicht kunstgewerblich ist?‘, fragte er. Auch wenn er im Domfenster den Zufall als überwältigende Macht darstelle und nicht als göttliche Vorsehung, befinde sich das Fenster dennoch im sakralen Rahmen am richtigen Platz. Richter erklärte, er fühle sich als Spross des Christentums, der ,ohne den Glauben an eine höhere Macht oder etwas Unbegreifliches‘ nicht leben könne.“ (Welt online v. 31. August 2007.) – Vielleicht glaubt ja Richter eben an den Zufall als an die höhere Macht? Wie gelangte aber dann sein Glasbild in den Dom zu Köln? Doch nicht etwa durch Vorsehung?