Archive for September 26th, 2009

Reweljuschn

Saturday, 26. September 2009

Merkwürdige Werbung im Schaufenster einer „alternativen“ Fahrschule. Ein Poster mit dem Bildnis eines Kindes, offensichtlich an das berühmte Che-Guevara-Porträt angelehnten. Darüber der Slogan: It’s time for another revolution – Zeit für Deine Bedürfnisse! Unter diesem Werbeplakat eine modellhafte Liliputwelt. Ein Plastik-VW-Bus, ein Streifen Sand mit ein paar Muscheln und Seesternen und dergleichen Abenteuerurlaubskitsch mehr.

Wenn ich versuche, die unterschwellige Botschaft dieses Arrangements ans Licht zu zerren bzw. deutlich werden zu lassen, dann kommt dabei ungefähr Folgendes heraus:

„Wenn du zu jenen Idealisten gehörst, die sich in der Vergangenheit überwiegend um die Mühseligen und Beladenen unserer Erde gekümmert haben und die zwangskolonisierten Völker der Dritten Welt befreien wollten, dann ist es jetzt aber höchste Zeit, dass du dich endlich auch einmal um dich selbst kümmerst. (Und hast du es noch nicht vernommen: ,Dritte Welt‘ sagt man längst nicht mehr. Heute ist ,Eine Welt‘ angesagt!)

Klar, die Revolution war ein tolles Event, Idealismus pur, aber jetzt können mal andere den Kampf weiterführen. Du hingegen hast dir redlich verdient, auf große Tour zu gehen und das Leben ab sofort mal ganz hedonistisch zu genießen. Damit du diesen Geschmack von Freiheit und Abenteuer auf die andere Art unbeschwert und sorgenfrei erfahren kannst, solltest du aber zuallererst einen Führerschein machen. Das befreit richtig!

Wenn du dann endlich die Fleppe hast, dann drück doch mal kräftig aufs Gaspedal. Wer weiß denn, wie lange das Benzin noch halbwegs erschwinglich ist?“

Whodunit?

Saturday, 26. September 2009

H. erzählt mir von dem Krimiautor Janwillem van de Wetering (1931-2008), der auf der Suche nach der Wahrheit zunächst bei dem betagten Bertrand Russell (1872-1970) in London Philosophie studiert habe. Als er dort keine ihn befriedigenden Antworten auf seine vielen Fragen fand, empfahl ihm Russell angeblich, nach Japan in ein Zenkloster zu gehen.

Mal abgesehen davon, dass ich für eine Begegnung van de Weterings mit Russell keinen Beleg finde und er nach meinen Informationen vielmehr 1958 kurzzeitig als „freier Student“ Philosophievorlesungen bei Alfred Jules Ayer (1910-1989) am UCL in London hörte, bevor er sich auf den Weg nach Kyoto begab, forderte diese Einleitung zu einem offenbar von Sympathie für van de Wetering getragenen Porträt des Niederländers meinen Widerspruch heraus.

Die alte Geschichte von dem unerschütterlich Fragenden, der sich mit einfachen Antworten nicht zufriedengeben will und immer weiter und immer tiefer fragt und bohrt und beharrt – sie hat ihre ursprüngliche Faszinationskraft für mich längst vollkommen verloren. Es kommt nicht drauf an, dass man die richtigen Antworten gibt, sondern dass man die richtigen Fragen stellt? Nein! Auch das ist eine Täuschung, denn es gibt keine „richtigen“ Fragen, wie es auch keine „falschen“ und erst recht keine „dummen“ Fragen gibt.

Die Vorstellung von einem bohrenden Wahrheitssucher, der in die weite Welt hinauszieht, um dort Antworten auf seine „letzten Fragen“ zu finden, hätte mich vielleicht vor vierzig Jahren noch angeheimelt. Aus dem Alter bin ich aber längst raus. Ich erinnere mich, dass die Kunden in der Buchhandlung, die nach den Krimis mit den Amsterdam-Cops fragten, eine erkennbar andere Sorte abgaben als jene, die sich für Sjöwall-Wahlöös Kommisar Martin Beck erwärmten. Die Erfahrung, dass man die Menschen nach ihrer Krimi-Lektüre, oder ganz generell nach ihren literarischen Interessen in Gruppen sortieren kann, wo sie dann untereinander auch viele weitere Ähnlichkeiten aufweisen, hat mich entscheidend geprägt. Und ich bin für alle Zukunft zu ernüchtert, um noch annehmen zu können, dass man in einem Krimi „bedeutsamere“ Fragen finden kann als die, wer zum Teufel der Täter ist.

Ansonsten gilt bis auf Weiteres: Es gibt für uns und von uns Menschen keine „endgültigen“ Antworten und keine „letzten“ Fragen.