Romanendzeit

Gleich zwei Romane mit dem Anspruch, sich als „Jahrhundertromane“ behaupten zu können, werden in diesem Jahr in deutscher Übersetzung vorgelegt. Was für eine Anmaßung, möchte man einwenden, wo das 21. Jahrhundert gerade erst einmal acht Jahre und acht Monate alt ist. Aber die Verlage, die sie hierzulande herausbringen, bürgen durchaus für Seriosität. Auch weilen beide Autoren nicht mehr unter den Lebenden, womit eine wesentliche Voraussetzung für Unsterblichkeit erfüllt ist. Und schließlich sind die beiden Bücher, wie es sich für dergleichen gehört, dick wie Moby.

Da wäre also erstens Roberto Bolaño mit 2666. (A. d. Span. v. Christian Hansen. München: Carl Hanser Verlag, 2009. – 1096 S., Pb. m. Lesebändchen, Fadenheftung. – 29,90 €.)

Und da wäre zweitens David Foster Wallace mit Unendlicher Spaß. (A. d. Am. v. Ulrich Blumenbach. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2009. – 1547 S., Pb. m. zwei Lesebändchen, gelumbeckt. – 39,95 €.)

Weder der Chilene noch der Mann aus den USA waren dafür bekannt, fröhliche Menschen zu sein. Foster Wallace litt seit frühester Jugend an Depressionen und hängte sich schließlich Ende vorigen Jahres im Alter von nur 46 Jahren unter seine Schreibstubendecke. Und Bolaño war gerade einmal 50 Jahre alt, als sein jahrelanges Leberleiden ihn hinwegraffte, auch er ein Verzweifelter, dessen Gedanken zeitlebens um Krankheit und Tod kreisten. Können wir von solchen Leidenden erwarten, dass uns ihre Werke ermuntern? Wenn wir aber aus ihnen keine Kraft schöpfen wollen, was dann? Finden wir in solchen Büchern immerhin eine Einsicht, die uns mit unserer Zeit so weit aussöhnt, dass wir den morgigen Tag überstehen? Es sei zugestanden, dass Kunst niemals am Maße ihrer praktischen Nützlichkeit gemessen werden kann. Aber geradezu umbringen sollte uns ein Roman doch auch nicht, oder?

(Romane wie diese beiden gehen übrigens noch einen Schritt weiter, sie treten nicht bloß als Jahrhundert-, sondern gar als Endzeitromane auf. Sie wollen nicht allein das letzte Wort über die Epoche sprechen, der sie entstammen und für die sie stehen, sondern vielmehr das letzte Wort überhaupt – insofern sie unterstellen, dass dies eben die letzte Epoche sei.)