Bücherlotterie

Allwöchentlich mittwochs und samstags stieren Millionen jackpotberauschte Deutsche auf die rotierende Glaskugel mit den 49 Zahlenbällen in Erwartung eines Hauptgewinns, von dem sie (naiverweise, weil gegen jede Erfahrung) annehmen, dass er sie glücklicher machen wird.

Mit ganz ähnlichen Gefühlen und Erwartungen stiere ich alle paar Tage in die Ramschkisten der Buchhändler und Antiquare, nicht gerade in der maßlosen Hoffnung, das große Los zu ziehen, aber doch immerhin mit der genügsameren Zuversicht, vielleicht einen Namen oder Titel zu entdecken, der mich für ein halbes Stündchen amüsieren, ärgern, anregen oder immerhin ablenken kann – wobei dieses letzte Ergebnis des Lesens mir mittlerweile nicht mehr unbedingt als das minderwertigste erscheint.

Heute zum Beispiel klaubte ich mit spitzen Fingern ein schmales Bändchen aus dem zeitgenössischen Unflat und Unrat: von Starkult bis Pophistorie, vom Ratgeber für Steuerbetrüger bis zum Reiseführer durch Feuchtgebiete. Unter einem so unscheinbaren wie abgegriffenen Umschlag verbarg sich ein bestens erhaltener dunkelroter Leineneinband und hinter dem Rücken des Buches lockte ein Titel, der vielleicht eine gleißende Erkenntnis verheißen wollte, vielleicht aber auch ein bloßer Bluff war: Der Idealismus – ein Wahn. Sein Autor, der deutsch-jüdische Arzt, Philosoph, Nietzscheaner Oscar Levy, war mir zuvor wohl noch nie begegnet, jedenfalls erinnerte ich mich weder an seinen Namen noch an sein Konterfei. Dessen muss ich mich allerdings wohl kaum schämen, denn selbst die knappen Wikipedia-Artikel (in Deutsch und Englisch) verraten wenig über diesen nahezu vergessenen Denker. Desto erstaunlicher ist, dass der Berliner Parerga-Verlag 2005 eine auf sechs Bände angelegte Werkausgabe gestartet hat, deren Band 4 ich hier zum Hohn- und Spottpreis von acht Euro in Händen hielt.

Ich konnte wieder einmal nicht widerstehen. Nachdem ich auf dem Heimweg per Ö-pe-en-vau, in musikalischer Begleitung einiger Klavierstücke von Eric Satie aus dem iPod, Kostproben aus dem verramschten Buch aufgesogen habe, muss ich meine Euphorie mit allen Mitteln mäßigen.

Es scheint, dass dieser Levy in seiner am 7. März 1937 vollendeten Kampfschrift, deren englische Originalausgabe The Idiocy of Idealism 1940 erschien, auf den Punkt genau mit mir übereinstimmt in seiner Auffassung, dass Judentum und Christentum, Kommunismus und Faschismus alle miteinander aus einem fatalen Ursprung kommen und in ein Verhängnis münden. – Nun werde ich das Buch noch einmal gründlich lesen. Sollte ich tatsächlich den Jackpot geknackt haben?

[Das Titelbild zeigt Oscar Levy mit seiner Enkeltochter Jacqueline im April 1946 in Boars Hill bei Oxford; aus Oscar Levy: Der Idealismus – ein Wahn. Hrsg. v. Leila Kais. Berlin: Parerga Verlag, 2006, S. 132.]