Kastanie aus Feuer

Zusammenstellungen von Zitaten nach gewöhnlichen oder ungewöhnlichen Kriterien haben mich immer schon angezogen. Sammlungen letzter Worte berühmter Sterbender besitze ich gleich drei und habe hierüber andernorts vor Jahr und Tag auch einmal gebloggt. Als ich neulich den größten Teil meiner Bibliothek auslagern musste, da blieb etwa die beeindruckend reichhaltige Zitatensammlung Geld von Robert W. Kent und Lothar Schmidt von der Zwangsausbürgerung verschont (Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1990).

Ein ungleich bescheidener auftretendes, dennoch nicht genug zu lobendes Sammelsurium bitterböser Zitate bietet das Büchlein Dichter beschimpfen Dichter, das ich aus gegebenem, aber zu verschweigendem Anlass heute wieder einmal zur Hand nahm. Wir verdanken es dem jüngst verstorbenen Jörg Drews und seinen ungenannten „Freunden in Berlin und Pisa, in Zürich und in Hille, in Paris und in Scheeßel, in Jerusalem und in Bielefeld, vor allem aber Sabine Kyora”. (Dichter beschimpfen Dichter II. Ein zweites Alphabet harter Urteile. Zusammengeststellt u. m. e. Nachwort beschlossen v. Jörg Drews & Co. Zürich: Haffmans Verlag, 1992, S. 137.)

Jetzt erst wird mir bewusst, dass ich mit dem Buch, dessen knapp 140 Seiten im Kleinoktav-Format viel zu schnell weggelesen sind, bloß den zweiten Teil einer Folge besitze. Ich finde darin zwar allerlei hässliche Invektiven gegen die großen und kleineren Geister der Weltliteratur, in alphabetischer Reihenfolge von Aeschylos bis Zola. Aber mancher, den ich gerade heute gern beschimpft sähe oder als Schimpfenden hörte – Knut Hamsun, Ludwig Hohl, Harald Wieser – fehlt zu meinem Bedauern. Vielleicht muss ich mir den ersten Band von 1990 doch noch zulegen? Aber da sehe ich, dass Drews 2006 zudem eine „vollst. überarb., ergänzte und erw. Neuausg.” bei Zweitausendeins in die Welt geschickt hat …

Reizvoll wäre es vielleicht, die gegenseitigen Invektiven der Damen und Herren Dichter wie eine lückenlose Perlenkette oder einen chronologischen Staffellauf zu arrangieren, von der jüngsten Rempelei eines Bachmann-Preisträgers gegen seinen renommierten Juror bis zurück zu Homer, der dann schließlich auch noch Opfer einer Beschimpfung wird, nämlich durch Voltaire: „Wenn die Bewunderer Homers aufrichtig wären, so würden sie die Langeweile eingestehen, die ihnen ihr Liebling oft verursacht.” (Dichter beschimpfen Dichter II, a. a. O., S. 57.) Bloß fände Homer vermutlich keinen Ahnen mehr, bei dem er sich für die widerfahrene Schmähung schadlos halten könnte.

Etwas aus der Reihe fällt in Drews negativem Pantheon übrigens Walter Kempowski, dem es als einzigem gestattet wird, sich selbst zu beschimpfen: „Ich bin der Sonnyboy der deutschen Gegenwartsliteratur. Ein hingeschissenes Fragezeichen.” (Ebd., S. 66.) – Wenn ich so vermessen wäre, dem nachzueifern, dann würde ich vielleicht über mich sagen: „Ich bin ein nervöses Hüsteln, das eilige Passanten aus dem brennenden Dornbusch zu vernehmen meinen.”