Krieg dem Kriege (IV)

Heute nun bin ich bei meiner Menschenrauch-Lektüre bis zu jenem Streit zwischen Klaus Mann und Christopher Isherwood vorgedrungen, den Mann in seinem Wendepunkt auf den 15. Juli datiert hat. (Den Konflikt aus der Sicht von Klaus Mann habe ich in meinem ersten Beitrag dieser Reihe ausführlich zitiert.)

Interessanterweise bringt nun Nicholson Baker eine Darstellung aus der Perspektive des pazifistischen Kontrahenten, oder doch immerhin nach dessen Tagebuch: „Christopher Isherwood traf sich zum Mittagessen mit Thomas und Katia Mann und ihrem Sohn Klaus. Isherwood und Klaus Mann gerieten in Streit über den Krieg. Klaus Mann verlangte von Isherwood ein öffentliches Bekenntnis zur Sache der Alliierten – sein Schweigen werde falsch ausgelegt. Klaus Mann bezeichnete sich zwar als Pazifisten – er persönlich könne niemanden töten. Doch jetzt sei Pazifismus nicht angebracht. ,Wenn man zulässt, dass die Nazis alle umbringen, dann lässt man auch den Untergang der Zivilisation zu.‘

Isherwood brachte ein Argument vor, das er von Aldous Huxley gehört hatte: ,Die Zivilisation stirbt ohnehin an Blutvergiftung, sobald sie die Waffen ihrer Feinde einsetzt, also Verbrechen mit Verbrechen vergilt.‘ Mann entgegnete, Bekenntnisse zum Pazifismus könnten nur den Nazis und der fünften Kolonne nützen. ,Genau deshalb halte ich ja den Mund‘, sagte Isherwood. Es war der 8. Juli 1940.” (Nicholson Baker: Menschenrauch. Wie der Zweite Weltkrieg begann und die Zivilisation endete. A. d. Am. v. Sabine Hedinger u. Christiane Bergfeld. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag, 2009, S. 236; zit. nach Christopher Isherwood: Diaries. Vol. 1. Ed. by Katherine Bucknell. New York: HarperCollins, 1996, S. 99 f.)

Tatsächlich fand das Gespräch zwischen Mann und Isherwood wohl weder am 8. noch am 15. Juli 1940 statt, sondern am 7. Juli, denn Klaus Mann schreibt unterm Datum vom 8. Juli in seinem Tagebuch: „Gestern, Christopher Isherwood hier zum Lunch. Nett. Mit ihm geschwommen. Viel geredet. (Zum Problem des integralen Pazifismus, à la Aldous Huxley. – Auden’s unklare Stellung. Christophers eigene Unklarheiten und mannigfache Bedenken. Mir alles nicht ganz verständlich. Trotzdem Sympathie für seine Integrität und Bemühtheit.)” (Klaus Mann: Tagebücher 1940-1943. Hrsg. v. Joachim Heimannsberg, Peter Laemmle u. Wilfried F. Schoeller. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1995, S. 47.)

Um die Ansichten und die daraus folgenden Verhaltensweisen komplizierter und vielschichtiger Zeitgenossen zu verstehen, muss man sie auseinandernehmen wie Küchenmaschinen und anschließend wieder zusammensetzen [s. Titelbild]. Wenn sie dann noch funktionieren, sind sie ihr Geld wert.

One Response to “Krieg dem Kriege (IV)”

  1. Revierflaneur Says:

    Eine interessante kleine Besprechung von Menschenrauch ist neulich hier erschienen.

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