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Zeichen schreiben

Friday, 16. January 2009

Die Zeitschrift SIGNA – Beiträge zur Signographie, deren erstes Heft im Herbst 2000 in der Edition Wæchterpappel im Verlag der Denkmalschmiede Höfgen im sächsischen Grimma erschienen ist, hat kaum ihresgleichen unter den Periodika zum Thema „graphische Zeichen”, soweit ich das internationale Angebot überblicke, und schon erst recht nicht in Deutschland. Die mittlerweile zehn schmalen Hefte (plus ein Sonderheft „anläßlich der Kodierung des großen ß”), im schlichten ziegelroten Umschlag und im Format 16,5 x 24,0 cm erschienen, bestechen durch ihre ebenso zurückhaltende wie konsequente Gestaltung, vor allem aber durch ihre ganz außergewöhnliche, originelle Themenwahl.

So beschäftigte sich etwa Heft 2, in der Tradition des großen Kalli- und Typographen Jan Tschichold, mit den „Formenwandlungen der Et-Zeichen”; Heft 4 mit dem „Punkt in der Musik”; Heft 5 mit den „Publikzeichen im realen und medialen öffentlichen Raum”; und Heft 7 war der „Verschriftung der Gebärdensprache” gewidmet. Jedem dieser nur auf den ersten Blick abgelegenen Gegenstände gewinnen die Autoren unter der Herausgeberschaft von Andreas Stötzner und Dr. Uwe Andrich einen überraschenden Erkenntniswert ab. Zudem ist es aber ein besonderes Vergnügen, dass dies auf so unaufdringliche Weise, so unprätentiös und insbesondere höchst anschaulich geschieht.

Mein persönliches Lieblingsheft ist das achte, „Zeichen schreiben”, das die Ergebnisse eines Kurses im Grundstudium Schrift an der Burg Giebichenstein in Halle unter Leitung von Hannelore Heise dokumentiert. „Die Aufgabe bestand im Erarbeiten eines kohärenten und doch in sich spannungsvollen Zeichensatzes – allein aus dem Schreiben heraus, entbunden von allen sonstigen Bezügen wie Tradition, Stilistik, Bedeutung und Konvention.” (Andreas Stötzner: Vorwort zu SIGNA, Heft 8, S. 5.) Hauptsächlich bildet dieses Heft die so unterschiedlichen Ergebnisse des Experiments ab, eins schöner als das andere, allesamt nicht lesbar, nicht entzifferbar, nicht dechiffrierbar im üblichen Sinne einer allgemein verbindlichen Bedeutungskonvention – und gerade deshalb sehr aussagekräftig zu der Frage, in welchen Urgründen denn eigentlich unser graphisches Bezeichnen der Welt und Wirklichkeit wurzelt.

Das (hoffentlich nur vorläufig) letzte Heft der Reihe ist 2006 erschienen, mithin vor nun schon drei Jahren – was zu der Befürchtung Anlass geben muss, dass dieses so hoffnungsvoll begonnene, in jedem einzelnen seiner Ergebnisse beachtenswerte Projekt einer tatsächlich erstaunlichen, zum Sehen und Verstehen einladenden Zeitschrift vor der Zeit auf der Strecke bleibt. Dies würde ich sehr bedauern, denn an noch unbehandelten Themen zur „Signographie” mangelt es ja wahrlich nicht. So erträume ich mir beispielsweise ein SIGNA-Heft über die „Tags” der spraydosenbewaffneten Graffiti-Maler unserer Tage, oder eins über die Gaunerzinken des fahrenden Volkes der Vergangenheit.

Darum hier ausnahmsweise mal Reklame. Bestellen Sie SIGNA, liebe Leser meines Weblogs. Fast alle alten Nummern sind noch lieferbar. Setzen Sie ein Zeichen gegen den Trend, Zeichen zwar tagtäglich zu entziffern, ihr tiefstes Wesen aber nicht verstehen zu wollen!

[Titelbild: Schriftbild von Lei Song; aus: SIGNA 8: Zeichen schreiben, S. 19. – © Verlag Denkmalschmiede Höfgen gGmbH, Edition Wæchterpappel, Grimma 2005.]