Sehr gut?

Gestern besuchte mich mein guter alter Freund Heinrich, mit dem sich immer trefflich über Gott, das Wort streiten lässt. „Streiten” heißt hier zwar in der Regel „aneinander vorbeireden”, aber in dieser beiderseitigen Verfehlung liegen meist mehr Erkenntnismöglichkeiten als im nur vermeintlichen gegenseitigen „Verständnis” jener, die sich, gleich auf welcher Seite des Zauns, mit einem freundlich-toleranten Lächeln auf den Lippen zunicken, wie zum Beispiel im Gespräch über Religion und Vernunft, das Professor Jürgen Habermas und Kardinal Joseph Ratzinger 2004 geführt haben.

Heinrich machte mir ein sehr liebenswürdiges Geschenk, den Kleinen Atheismus-Katechismus, den Gerd Haffmans im vorigen Jahr zusammengestellt und herausgegeben hat (Frankfurt am Main: Haffmans bei Zweitausendeins, 2008). Auf gerade einmal 170 Seiten versammelt Haffmans einige der schärfsten literarischen Gewürze, mit denen sich das gelegentlich eher fade schmeckende Eintopfgericht nüchternen Unglaubens abschmecken lässt. Neben den Klassikern wie Ludwig Feuerbach, Arthur Schopenhauer, Karl Marx und Charles Darwin – dem Jubilar dieses neuen Jahres – sind auch meine speziellen Hausunheiligen Fritz Mauthner, Theodor Lessing und Arno Schmidt mit ihren besten Ketzereien vertreten. Das proper fadengeheftete Bändchen kostet reelle 12,90 €, beschert den mitdenkenden Leser überreich mit bitteren Einsichten, sauren Erkenntnissen und scharfen Witzen und verdirbt ihm womöglich auf Lebenszeit den Geschmack für die süßlichen Versprechungen einer besseren Jenseitigkeit via Gottesglaube, Beichte und Frömmelei.

Besonders erfreut haben mich die Aphorismen zur Gotteswissenschaft (S. 101-109) von Ludger Lütkehaus (* 1943), der mir zuerst durch sein handliches Buch über die Onanie („O Wollust, o Hölle”. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag) und dann erneut mit seinem gewichtigen Buch über das Nichts (Frankfurt am Main: Haffmans bei Zweitausendeins, 2000) angenehm aufgefallen war: als sowohl schamlos Fragender wie geistreich Antwortender.

Zwei Kostproben. „Warum erfreut sich das Recycling so großen Zuspruchs? Weil es die realistischere Form der Unsterblichkeit ist. Sublimation der irdischen Abfallwirtschaft mit hinausgeschobenem Verfalldatum.” (Recycling, S. 103.) – Und dann dies hier: „,Siehe, es war alles sehr gut.‘ Der Schöpfer, der sich am Ende seiner Sechstagewoche selber zu seinem Schöpfungswerk gratuliert, liefert nicht nur ein beklagenswertes Beispiel für den Mangel an Realismus. Er ist auch der bei weitem Eitelste in der Gemeinde der Selbstgefälligen. Den Realismus liefert er zwar mit den Folgen des Sündenfalls nach. Sein Schöpfer-Narzissmus aber bleibt ungetrübt. Er rettet sein Bild aus dem Desaster, indem er die Schuld nie bei sich selber sucht. Unter allen Uneinsichtigen ist er der Unbelehrbarste.” (Sehr gut, S. 108.)

Ein passendes Geschenk zu allen christlichen Feiertagen – sowie zur Taufe, Kommunion und Letzten Ölung!

8 Responses to “Sehr gut?”

  1. Matta Schimanski Says:

    Na, wer die letzte Ölung (heute heißt sie übrigens Krankensalbung) bekommt, hat wahrscheinlich nicht mehr allzu viel von dem Geschenk.

  2. Günter Landsberger Says:

    Matta Schimanski: Muss man denn immer an das denken, was man davon hat?

    Revierflaneur: Die Kritik am “Sich-selbst-Beifall-Klatschen” des Schöpfergottes (wie am “ruchlosen Optimismus” Hegels) ist mir schon von Schopenhauer her bekannt.

  3. Revierflaneur Says:

    Matta Schimanski: Gar mancher wurde schon geölt (oder meinetwegen auch gesalbt), der anschließend noch viele Jahre den lieben Gott einen guten Mann sein ließ – und den rechten Weg zum wenngleich ungemütlicheren, aber dafür desto wahrhaftigeren Unglauben fand.

    Günter Landsberger: Mag sein. Nichts Neues unter der Sonne. Welche Quelle? Welche Stelle? (Außerdem zählt Dein Einwand – so das denn als Einwand gemeint war, und nicht bloß als neuerlicher Nachweis Deiner profunden Belesenheit – nur dann, wenn Schopenhauer dieses Apercu ähnlich zeitgemäß-witzig auf den Begriff gebracht hätte wie der zitierte Lütkehaus.)

  4. Matta Schimanski Says:

    Manuel: Ja, weiß ich doch. Aber die Regel ist das nicht (weshalb das Dingen ja auch mal Letzte Ölung hieß).

    Herr Landsberger: Aber nein, muss man selbstverständlich nicht. Darum ging es in meinem Kommentar allerdings in Wahrheit auch gar nicht. Genau betrachtet ist Ihre Frage an dieser Stelle regelrecht absurd.

    Mal ‘ne ganz andere Frage: Was ist Ihnen denn heute über die Leber gelaufen? Ein Läuschen kann das nicht gewesen sein!

  5. Revierflaneur Says:

    Doch nicht etwa …? – Nein, ich sag jetzt nichts!

  6. Günter Landsberger Says:

    Was Du jetzt sagen wolltest, Revierflaneur, weiß ich auch so. Aber da bist Du letztlich auf dem falschen Dampfer.

    Matta Schimanski: Haben Sie etwas gegen absurdes Theater?

  7. Günter Landsberger Says:

    Matta Schimanski: A propos “Laus” –

    Können Sie denn überhaupt nicht nachvollziehen, dass man sich veräppelt fühlen kann , wenn jemand zunächst ernsthaft einen Teppich bereitlegt, den man ernsthaft betritt, der einem dann aber mir nichts dir nichts (und ausgerechnet nach einem eigenen Beitrag, der in eine etwas eigenartige Beleuchtung gerückt wird) wieder weggezogen wird? Dieses recht willkürlich erscheinende Lavieren zwischen Ernst und Nicht-so-ernst-gemeint ist eben nicht jedermanns Sache. Ich hatte die Anfrage des Beitrages verstanden als Aufforderung, eine lockere, zufällige Anthologie zusammenzustellen mit sachlich zutreffenden Beiträgen unterschiedlichster Art. Und mich nur gegen die Suggestion verwahrt, meine Vorschläge hätten mit der Sache wenig zu tun.

    Wenn es von vornherein klar gewesen wäre, dass es nur um Jux zu tun war, hätte ich mich darauf eingestellt.

  8. Günter Landsberger Says:

    Manuel Hessling –

    Eine Schopenhauer-Stelle wäre die aus seinem Hauptwerk:
    “der Jehova, der Gott- Schöpfer, der seiner Schöpfung Beifall klatscht und findet, daß Alles vortrefflich gerathen sei,”
    vgl.:
    http://www.zeno.org/Philosophie/M/Schopenhauer,+Arthur/Die+Welt+als+Wille+und+Vorstellung/Zweiter+Band/Erg%C3%A4nzungen+zum+vierten+Buch/50.+Epiphilosophie

    Im Jahr 1828 schrieb Schopenhauer u. a. folgenden im Nachlass überlieferten Satz:
    “Wenn die Welt erst e h r l i c h genug geworden seyn wird, um Kindern vor dem 15ten Jahr keinen R e l i g i o n s u n t e r r i c h t zu ertheylen; dann wird etwas von ihr zu hoffen seyn.”
    (aus: “Arthur Schopenhauer’s handschriftlicher Nachlaß” / 4. Band: Neue Paralipomena, Reclam Leipzig 1892, S. 248)

    Und auf S. 242:
    “Wenn ein Gott diese Welt gemacht hat, so möchte ich nicht der Gott seyn: ihr Jammer würde mir das Herz zerreissen.”

    Und ist es nicht tatsächlich die Theodizeefrage, an der sich die Geister scheiden?

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