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Der Tod!?

Sunday, 21. December 2008

Ich erinnere mich noch so gut, als wäre es gestern gewesen, an jenen Augenblick, da mir, im Alter von vielleicht drei oder vier Jahren, plötzlich bewusst wurde, dass auch ich nicht ewig leben würde. Ich lag in meinem Bett im Kinderzimmer und konnte nicht einschlafen, weil mich dieser Gedanke völlig aus der Fassung brachte. Als mein Vater den Kopf zur Tür hereinsteckte, um mir eine gute Nacht zu wünschen, fragte ich ihn rundheraus, ob ich denn tatsächlich unbedingt irgendwann einmal sterben müsse. Gab es da wirklich keine Ausnahme? Der liebe Mann war offenbar erschrocken über diese direkte Frage seines kleinen Sohnes, gab sich aber redlich Mühe, mich in meiner tiefen Verstörung zu besänftigen, indem er mich mit dem Versprechen zu trösten suchte, dass es bis dahin ja noch eine sehr, sehr lange Zeit sei. Ich erinnere mich auch daran, dass dieser Trost mein Entsetzen nicht mildern konnte und ich bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal von meinem Vater enttäuscht wurde, den ich doch bis dahin als einen allmächtigen Beschützer erlebt hatte, stark genug, alles Übel von mir fernzuhalten. An diesem Abend versagte er und ließ mich mit meiner Angst allein.

Das Trostpflästerchen, das mein Vater auf die Wunde geklebt hatte, die mir diese frühe Einsicht in meine Vergänglichkeit schlug, erwies sich als wenig beständig. Die Folge einer Fernsehserie von Prof. Heinz Haber in den 1960er-Jahren war dem Thema „Zeit” gewidmet. Dort lernte ich, dass für das subjektive Zeitempfinden des Menschen seine innere Uhr mit 18 Jahren bereits zur Hälfte abgelaufen ist, selbst wenn er ein gesegnetes Lebensalter von 80 Jahren erreicht.

Trost spendete mir später schon eher das bekannte Wort von Bazon Brock, in der Tradition des schwarzen Humors der Surrealisten: „Der Tod muss abgeschafft werden, diese verdammte Schweinerei muss aufhören. Wer ein Wort des Trostes spricht, ist ein Verräter an der Solidarität aller Menschen gegen den Tod. Wer sich hinreißen lässt aus noch so verständlichen Gründen, aus Anlass des Todes […] ein rührendes Wort zu sprechen, eine Erklärung anzubieten, die Taten aufzuwiegen, die Existenz als erfüllte zu beschreiben, der entehrt ihn, lässt ihn nicht besser als die Mörder in die Kadaververwertungsanstalt abschleppen. Wer den Firlefanz, die Verschleierungen, die Riten der Feierlichkeit an Grabstätten mitmacht, ohne die Schamanen zu ohrfeigen, dürfte ohne Erinnerungen leben und sich gleich mit einpacken lassen. […] Der Tod ist ein Skandal, eine viehische Schweinerei! […] Lasst euch nicht darauf ein, versteht: Der Tod [ist] ein ungeheuerlicher Skandal, gegen den ich protestiere.” (Bazon Brock / Karla Fohrbeck: Ästhetik als Vermittlung. Arbeitsbiographie eines Generalisten. Köln: DuMont Verlag, 1977, S. 796 f.)

Und dann gab es da noch die plausible Einsicht, schon bei den Vorsokratikern, dass ich mich doch wohl nicht um ein posthumes Nichtsein bekümmern muss, da mich mein pränatales Nichtsein ebensowenig je beunruhigt hat.

Schließlich und letzten Endes, als Fußnote zur Kopffrage, lauert der populäre Einwand, dass die Angst vorm Tod bei genauerer Betrachtung vielleicht bloß eine Angst vorm Sterben sein könnte: die Qualen des Übergangs, die doch angesichts der Ewigkeit eine gertenschlanke Nichtigkeit ausmachen. Immerhin ist das Thema Tod wohl wert, in den täglichen Notaten eines Sterblichen seinen vergänglichen Platz zu bestreiten.