Durcheinander

Uwe Johnson erzählt in seinem Hauptwerk Jahrestage die Geschichte von der Ermordung Robert Kennedys vor vierzig Jahren auf seine ihm sehr eigene Weise. Aus der Perspektive seiner Heldin Gesine Cresspahl. Unter anderem in der Form von Notizen ihrer Tochter Marie zu einem Aufsatzthema der Klasse 6b. (Uwe Johnson: Jahrestage. Band 3. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 1973, S. 1281 ff.)

Das habe ich eben noch mal nachgelesen, in dem mir vom Autor am 14. März 1982 gewidmeten Exemplar dieses Buches. Johnson hält die Biographien von Robert Francis Kennedy (1925-1968) und Sirhan Bishara Sirhan (* 1944) gegeneinander, die verschiedener nicht sein könnten und sich dennoch an einigen Stellen berühren. „Nicht geraucht, nicht getrunken, kaum mit Mädchen gegangen” heißt es dort (S. 1302) über den 21-jährigen Robert. Und vom zwanzig Jahre jüngeren Sirhan liest man zur Zeit kurz vor seiner Tat: „Raucht nicht, trinkt nicht. Kann keinen Befehl ertragen.” (S. 1305)

Die Urne mit der Asche von Robert liegt seit vierzig Jahren auf dem Nationalfriedhof Arlington im US-Bundesstaat Virginia. Der verurteilte Mörder Sirhan lebt seit ebenfalls vierzig Jahren in einer Zelle des Hochsicherheitstrakts der Strafvollzugsanstalt Corcoran im US-Bundesstaat Kalifornien – sozusagen Zelle an Zelle mit Charles Manson.

„Auf dem Wege zur Pressekonferenz, in einem Küchenkorridor wurde er von hinten in den Kopf geschossen. […] Lag auf dem Boden, die Frau kniete neben ihm. Die Sache mit dem Rosenkranz.” (Johnson, a. a. O., S. 1299) – Doch hier irrt der Dichter. Neben dem sterbenden Robert Kennedy kniete keine Frau, sondern der mexikanische Hoteldiener Juan Romero (17); und er war es, der seinen Rosenkranz aus der Tasche zog, um ihn in die Hand des tödlich verletzten Präsidentschaftskandidaten zu legen.

Vermutlich wurde das Bild, das Uwe Johnson sich ein paar Jahre später von diesem Ereignis machte, von einem anderen, fast auf den Tag genau ein Jahr älteren überblendet [siehe Titelbild]. So fließt eins ins andere. Und es ist nicht mehr zu trennen, was gut und böse, was wahr und falsch ist; wer im Recht und wer ein Sünder war; wer Verderben säte und wer die Rettung hätte bringen können. Je genauer wir auf die Vergangenheit schauen, desto verwirrender erscheint sie uns. Nur jene Zeitgenossen, die getrübten Blicks nach einer Erklärung für das Gewesene suchen, finden schnell ihren Seelenfrieden. Die kleine Minderheit der gründlicheren Zuschauer, der ich mich verbunden fühle, quält sich tagtäglich damit ab, mehr zu finden als eine billige Lösung vom ideologischen Patentamt. Aber welche?