Dreckschleuder

Was das Fernsehen angeht, dessen inhaltliche Qualitäten seit einer Woche mal wieder durch den Veitstanz eines greisen Fernsehstars ins Gerede gekommen sind, bin ich Fundamentalist – und Totalverweigerer. Ich habe kein Empfangsgerät in der Wohnung stehen, ich sehe mir auch anderswo keine Fernsehprogramme an, gleich ob öffentlich-rechtliche oder private, ich ernähre mich intellektuell rein vegetarisch, bereite mir meine Nahrung ausschließlich aus Texten und Bildern der papierenen Provenienz, angereichert durch bequem verfügbare Zutaten aus dem Internet. Selbst wenn es weltweit keine niveauloseren Sender als Arte und 3sat gäbe, würde das an meiner prinzipiellen Abneigung gegen dieses Massenmedium keinen Deut ändern. Ganz einfach gesagt: Nicht die jetzt wieder an den Pranger gestellten idiotischen Inhalte des Fernsehens veranlassen mich zu meiner konsequenten Abstinenz; vielmehr habe ich längst schon die Form ihrer Darbietung in diesem Medium als für mich grundsätzlich schädlich und insofern absolut entbehrlich erkannt.

Die sich gegenseitig verstärkende Wechselwirkung zwischen der fortschreitenden Trivialisierung der Inhalte im Fernsehen und den sinkenden Ansprüchen seiner Zuschauer vor der Mattscheibe ist eine Gesetzmäßigkeit, die diesem Medium von Anfang an, also seit der Nierentisch-Epoche, immanent war und die durch keine noch so gut gemeinte Gardinenpredigt eines gebildeten Großkritikers umzukehren oder auch nur zu bremsen ist. Indem die Einschaltquote, von der die Werbeeinnahme abhängt und damit die Finanzierung dieses Massenspektakels, das Programm bestimmt, reguliert sich dieses Unterhaltungssystem selbst. Ein erfolgreicher Intendant zeichnet sich schon längst nicht mehr durch Phantasie, Experimentierfreude und innovative Ambitionen aus. Vielmehr lässt er den Dingen ihren Lauf und sitzt die regelmäßig über ihn niedergehenden Medienschelten großkopferter Arroganskis lieber aus, als einen Rückgang der Quoten (und damit der Werbeeinnahmen) für seinen Arbeitgeber resp. Gehaltszahler in Kauf zu nehmen.

Weder die Empfänger noch die Sender haben in diesem sich selbst regulierenden System einen Handlungsspielraum. Das ist ein geschlossener Kreislauf, eine unablässig rotierende Turbine des Elends. Letztere, „die Fernsehmacher”, müssen produzieren, was gewünscht wird; erstere, „unsere lieben Zuschauer”, müssen konsumieren, was geboten wird. – Die Wahlmöglichkeit zwischen Dutzenden von Programmen, jenes „Switchen” per Fernbedienung, das die einst auf zwei Sender und die anstrengenden „Dritten” reduzierte Schmalspurofferte zum Scheinbild einer großen weiten Welt hochpushte, ist dabei nur eine Farce. Und die wenigen anspruchsvollen Sendungen erfüllen lediglich eine Alibifunktion. Entscheidend aber ist der Mainstream, jener reißende Fluss, der immer breiter und schneller wird und alles mit sich in den Abgrund spült, was einmal „humanistische Bildung”, „kritischer Geist” und „gepflegter Geschmack” hieß. – Das Fernsehen ist der letzte Sargnagel zur vordem schon gescheiterten Aufklärung.

Marcel Reich-Ranicki hat diese destruktive Allmacht des Fernsehens nicht erkannt. Sonst hätte er sich in den Jahren seines Literarischen Quartetts nicht zum Hofnarren machen lassen. Und selbst in der Abgeschiedenheit des Ruheständlers ist er offenbar noch nicht aus dem Spuk schlau geworden, auf den er sich da eingelassen und zu dessen Abrakadabra er erfolgreich beigetragen hat. Wenn er von dem „Dreck” angeekelt war, den er stundenlang bei der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises aus nächster Nähe, als unmittelbarer Augenzeuge geboten bekam und ertragen musste, dann spricht das nicht für seine intellektuelle Redlichkeit, sondern ist kläglicher Ausweis seiner erschreckenden Naivität. (Alter schützt vor Torheit nicht.) Und wenn er glaubt, durch seine trotzige Ablehnung eines Plexiglas-Obelisken und einen halbstündigen Dialog mit Thomas Gottschalk über die inhaltliche Qualität des Fernsehens diesbezüglich eine Trendwende auslösen zu können, dann muss man’s wohl schon Größenwahn nennen.

Die überschaubar kleine Zahl jener Zeitgenossen, die wie ich einige vermeintliche „Segnungen” unserer Zivilisation zu Beginn des dritten Jahrtausends bewusst verweigern – das Fernsehen, das Handy, das Auto, den Tourismus – wird regelmäßig mit einer ebenso überschaubaren Zahl von Invektiven bedacht: arrogant, weltfremd, antagonistisch, kulturpessimistisch. Das nehmen wir aber liebend gern in Kauf – und zwar nicht aus messianischen Motiven, um der Rettung der Welt willen, sondern aus rein egoistischen Gründen. (Hierzu wird in nächster Zeit noch einiges zu sagen sein.)

11 Responses to “Dreckschleuder”

  1. Günter Landsberger Says:

    Gut gebrüllt, Löwe. Noch dazu ganz ohne obsessiv eingesetzte Majuskeln. Die hast Du auch nicht nötig.

  2. Matta Schimanski Says:

    Bei den Majuskeln ging ‘s doch gar nicht ums Brüllen.

  3. Günter Landsberger Says:

    Dass es nicht darum ging, war mir (erkennbar) klar. So wurde es aber vorwiegend wahrgenommen.

  4. Matta Schimanski Says:

    Aber warum schreiben Sie das hier? Es war Manuel doch bewusst, und bewusst hat er es “in Kauf” genommen.

  5. Günter Landsberger Says:

    Weil es nicht nötig war, dass auch Arglose das so missverstehen müssen. Für die Böswilligen war das ein gefundenes Fressen. – Aber meine hier nur gut gemeinten Äußerungen können auch wieder zurückgezogen werden.

  6. Revierflaneur Says:

    Wenn ich bei allem, was ich schreibe, die Begriffsstutzigkeit der Dümmsten zum Maßstab nähme, würden die Klügeren bald jedes Interesse an meinem Geschreibsel verlieren – und ich selbst übrigens auch am Schreiben. Es war noch nie mein vornehmstes Ziel, von vielen verstanden oder gar gemocht zu werden, und schon erst recht nicht auf Kosten meiner Authentizität. Heute Nacht las ich bei Victor Auburtin den stolzen Satz: “Es ist mir bekannt, daß viele Leute meine Bemerkungen nicht lieben, weil diese Bemerkungen wahr und deshalb ungewohnt sind.” Ich bin etwas bescheidener und will nicht behaupten, dass alle meine Bemerkungen wahr sind. Aber nach meiner Beobachtung kommen sie einer schmerzhaften Wahrheit immer dann am nächsten, wenn sich der heftigste Widerspruch gegen sie regt.

  7. Günter Landsberger Says:

    Na gut. Das ist wenigstens ein klares, unmissverständliches Wort. Und es war wohl doch nicht so verkehrt, liebe Frau Schimanski, dass ich mich in Form einer (im übrigen sehr kleinen) Andeutung in einem Halbsatz hier geäußert habe.

    Missverständnisse bei anderen sind nämlich schon deswegen nicht ausgeschlossen, weil einige der Lesenden erst später hinzugekommen sind und den früheren Zuschnitt der Beiträge des Flaneurs nicht immer kennen. Zumindest sollte man dies nicht voraussetzen.

  8. Revierflaneur Says:

    In der Tat, Missverständnisse gerade in den Kommentarspalten der Threads sind nie auszuschließen – und dass neue Gäste brüskiert werden, weil sie z. B. nicht ahnen, mit einer Meinungsäußerung offene Türen einzurennen bzw. vor verschlossene Türen zu rennen, infolgedessen auch nicht.

    Ich erinnere mich noch gut, dass immer wieder mal ein “Grünschnabel” sich einen Kommentar zu Else Buschheuers Kleinschreibung nicht verkneifen konnte – und in trister Regelmäßigkeit mit dem Hinweis von den Schlachtenbummlern dieser Dame zur Ordnung gerufen wurde: Dieses Thema sei doch nun wirklich längst ausdiskutiert. Woraufhin er nie wieder gesehen ward.

    Als ich aus einer schlechten Laune heraus durch meine Majuskeln für eine kurze Weile diese Unsitte parodierte, nahm ich das Unverständnis solcher unbescholtenen Neuleser und daraus erwachsende Missverständnisse billigend in Kauf, das sei unumwunden zugegeben. Aber auch dies ist nun Geschichte. Und nach meinem kurzen “Störfeuer-Intermezzo” werde ich auch im Souterrain dieses Weblogs künftig nicht mehr in Erscheinung treten. Alle Beteiligten haben jetzt ihre wohlverdiente Ruhe.

    Übrigens blicke ich auf diese Episode meines Lebens mittlerweile, aus der stetig wachsenden Distanz, nicht mehr mit Groll zurück. Gerade die schmerzlichen Erfahrungen sind ja meist besonders lehrreich und förderlich für die Zukunft auf anderem Terrain.

  9. Günter Landsberger Says:

    Gut, dass Du endlich diese entspannte Haltung hierzu gewonnen hast. – Wie Du Deine Majuskeln gemeint hast, habe ich von Anfang an verstanden. (Dein Romanschlussrätsel hast Du aber leider nun doch nicht restlos aufgelöst.)

  10. Revierflaneur Says:

    Dass ich mein Versprechen, die endgültige Auflösung dieses Rätsels nachzuliefern, bisher nicht gehalten habe, hat einen triftigen Grund: Ich konnte meine Liste mit dem Lösungsschlüssel trotz emsigen Suchens bisher nicht finden. Und meine eigenen Rätsel-Reste aufzulösen, dazu steht mir einfach nicht der Sinn, von der fehlenden Zeit mal ganz abgesehen.

    Dennoch soll Deine bewundernswerte Hartnäckigkeit in dieser Sache nicht unbelohnt bleiben. Ich muss Dich allerdings noch um etwas Geduld bitten – aber Geduld ist ja eine Deiner größten Stärken.

  11. Günter Landsberger Says:

    Noch schöner fände ich es, wenn ich mit Herrn Teste sagen könnte: “Dummheit ist nicht meine Stärke.”

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