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Dreckschleuder

Sunday, 19. October 2008

Was das Fernsehen angeht, dessen inhaltliche Qualitäten seit einer Woche mal wieder durch den Veitstanz eines greisen Fernsehstars ins Gerede gekommen sind, bin ich Fundamentalist – und Totalverweigerer. Ich habe kein Empfangsgerät in der Wohnung stehen, ich sehe mir auch anderswo keine Fernsehprogramme an, gleich ob öffentlich-rechtliche oder private, ich ernähre mich intellektuell rein vegetarisch, bereite mir meine Nahrung ausschließlich aus Texten und Bildern der papierenen Provenienz, angereichert durch bequem verfügbare Zutaten aus dem Internet. Selbst wenn es weltweit keine niveauloseren Sender als Arte und 3sat gäbe, würde das an meiner prinzipiellen Abneigung gegen dieses Massenmedium keinen Deut ändern. Ganz einfach gesagt: Nicht die jetzt wieder an den Pranger gestellten idiotischen Inhalte des Fernsehens veranlassen mich zu meiner konsequenten Abstinenz; vielmehr habe ich längst schon die Form ihrer Darbietung in diesem Medium als für mich grundsätzlich schädlich und insofern absolut entbehrlich erkannt.

Die sich gegenseitig verstärkende Wechselwirkung zwischen der fortschreitenden Trivialisierung der Inhalte im Fernsehen und den sinkenden Ansprüchen seiner Zuschauer vor der Mattscheibe ist eine Gesetzmäßigkeit, die diesem Medium von Anfang an, also seit der Nierentisch-Epoche, immanent war und die durch keine noch so gut gemeinte Gardinenpredigt eines gebildeten Großkritikers umzukehren oder auch nur zu bremsen ist. Indem die Einschaltquote, von der die Werbeeinnahme abhängt und damit die Finanzierung dieses Massenspektakels, das Programm bestimmt, reguliert sich dieses Unterhaltungssystem selbst. Ein erfolgreicher Intendant zeichnet sich schon längst nicht mehr durch Phantasie, Experimentierfreude und innovative Ambitionen aus. Vielmehr lässt er den Dingen ihren Lauf und sitzt die regelmäßig über ihn niedergehenden Medienschelten großkopferter Arroganskis lieber aus, als einen Rückgang der Quoten (und damit der Werbeeinnahmen) für seinen Arbeitgeber resp. Gehaltszahler in Kauf zu nehmen.

Weder die Empfänger noch die Sender haben in diesem sich selbst regulierenden System einen Handlungsspielraum. Das ist ein geschlossener Kreislauf, eine unablässig rotierende Turbine des Elends. Letztere, „die Fernsehmacher”, müssen produzieren, was gewünscht wird; erstere, „unsere lieben Zuschauer”, müssen konsumieren, was geboten wird. – Die Wahlmöglichkeit zwischen Dutzenden von Programmen, jenes „Switchen” per Fernbedienung, das die einst auf zwei Sender und die anstrengenden „Dritten” reduzierte Schmalspurofferte zum Scheinbild einer großen weiten Welt hochpushte, ist dabei nur eine Farce. Und die wenigen anspruchsvollen Sendungen erfüllen lediglich eine Alibifunktion. Entscheidend aber ist der Mainstream, jener reißende Fluss, der immer breiter und schneller wird und alles mit sich in den Abgrund spült, was einmal „humanistische Bildung”, „kritischer Geist” und „gepflegter Geschmack” hieß. – Das Fernsehen ist der letzte Sargnagel zur vordem schon gescheiterten Aufklärung.

Marcel Reich-Ranicki hat diese destruktive Allmacht des Fernsehens nicht erkannt. Sonst hätte er sich in den Jahren seines Literarischen Quartetts nicht zum Hofnarren machen lassen. Und selbst in der Abgeschiedenheit des Ruheständlers ist er offenbar noch nicht aus dem Spuk schlau geworden, auf den er sich da eingelassen und zu dessen Abrakadabra er erfolgreich beigetragen hat. Wenn er von dem „Dreck” angeekelt war, den er stundenlang bei der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises aus nächster Nähe, als unmittelbarer Augenzeuge geboten bekam und ertragen musste, dann spricht das nicht für seine intellektuelle Redlichkeit, sondern ist kläglicher Ausweis seiner erschreckenden Naivität. (Alter schützt vor Torheit nicht.) Und wenn er glaubt, durch seine trotzige Ablehnung eines Plexiglas-Obelisken und einen halbstündigen Dialog mit Thomas Gottschalk über die inhaltliche Qualität des Fernsehens diesbezüglich eine Trendwende auslösen zu können, dann muss man’s wohl schon Größenwahn nennen.

Die überschaubar kleine Zahl jener Zeitgenossen, die wie ich einige vermeintliche „Segnungen” unserer Zivilisation zu Beginn des dritten Jahrtausends bewusst verweigern – das Fernsehen, das Handy, das Auto, den Tourismus – wird regelmäßig mit einer ebenso überschaubaren Zahl von Invektiven bedacht: arrogant, weltfremd, antagonistisch, kulturpessimistisch. Das nehmen wir aber liebend gern in Kauf – und zwar nicht aus messianischen Motiven, um der Rettung der Welt willen, sondern aus rein egoistischen Gründen. (Hierzu wird in nächster Zeit noch einiges zu sagen sein.)