Und dann?

Nun geht also der US-amerikanische „Rettungsplan”, $ 700.000.000.000 Steuergelder für marode Banken bereitzustellen, in die zweite Runde. Die 228 Abstimmungsgegner, die ihm am vergangenen Mittwoch im House of Representatives eine Abfuhr erteilt haben, wollten nicht einsehen, dass das Versagen der Banker, das überhaupt erst zu dieser weltweit größten Finanzkrise seit 1929 geführt hat, durch ein solches Geschenk nachträglich noch gratifiziert wird. Dass diese „Blockierer”, mehrheitlich Republikaner, dabei vielleicht weniger von ihrem Gewissen als von der Sorge um ihre Wiederwahl am 4. November bestimmt waren, schmälert nicht den Erkenntniswert ihrer Entscheidung. Wäre das fertig geschnürte „Rettungspaket” gleich im ersten Anlauf durchgewunken worden, dann hätte die Botschaft an die freie, man kann auch sagen: ungezügelte Finanzwirtschaft doch gelautet: „Ihr könnt Scheiße bauen, so viel ihr wollt, im Ernstfall tritt immer der Staat für den entstandenen Schaden ein!”

Die Unterstützer dieser größten staatlichen Nothilfe der Geschichte – vom noch amtierenden Präsidenten George W. Bush über die 205 Befürworter der vorläufig gescheiterten Initiative im Repräsentantenhaus bis zu den beiden Präsidentschaftskandidaten, John McCain und Barack Obama – argumentieren mit der Alternativlosigkeit des von Finanzminister Henry Poulsen vorgeschlagenen Bremsmittels: Wenn wir diese bittere Pille nicht schlucken, und zwar so schnell wie möglich, dann geht weltweit alles den Bach runter, was uns in den letzten Jahrzehnten in den Staaten der Ersten Welt als wohlvertrauter Lebenskomfort zur angenehmen Selbstverständlichkeit geworden ist: Wohlstand, Freiheit, Sicherheit, Mobilität, Gesundheit, Sozialfürsorge, Bildung und Entwicklung – unsere ganze spätbürgerliche Saturiertheit im Turbokapitalismus steht plötzlich vorm Abgrund.

Ein Satz, der in der Berichterstattung über die aktuelle Finanzkrise immer wieder zu hören war, lautet etwa so: „Das Vertrauen in die Selbstregelungsmechanismen der freien Wirtschaft steht auf dem Spiel.” Nun mag man sich fragen, ob denn die Macher der herrschenden Verhältnisse ihre Macht in der Vergangenheit tatsächlich auf nicht mehr gegründet haben als auf dieses Vertrauen. Und man mag sich weiter fragen, warum den vertrauensseligen Nutznießern dieser Blauäugigkeit, den verbleibenden 99,9 Prozent der Menschheit in den Wohlstandsländern, kaum jemals wirksame Zweifel gekommen sind, ob denn angesichts der alltäglichen Hiobsbotschaften in der Tagesschau das Prinzip „grenzenloses Wachstum” auf einem naturgemäß begrenzten Globus nicht bald einmal zum globalen Kollaps führen müsse. Aber die sedierende Macht der Gewohnheit ist offenbar stärker als die kritische Kraft der Vernunft.

Ein Wort, das in den vergangenen Tagen in den Medien ebenfalls Hochkonjunktur hatte: „Panik”. Die Panik an der Börse, die Panik der Anleger usw. Das Wort bezeichnet ja ein Bewegungsphänomen irrationaler Beschleunigung von Massen. Gestern etwa wurden mindestens 147 hinduistische Pilger in der indischen Stadt Jodhphur totgetrampelt, weil sich das Gerücht verbreitete, in dem Tempel Chamunda Devi, dem Tausende entgegenstrebten, ticke eine Bombe. Panik löst eine Fluchtbewegung aus, die mindestens für einen Teil der Fliehenden tödlich endet.

Ganz gleich, wie die für heute Abend angekündigte Abstimmung im US-Senat über Poulsens 700-Milliarden-Paket ausgeht: Die Panik wird kommen, wenn nicht heute, dann morgen. Und dann?