Elchtest

traxler

Neulich machte meine Ex-Kollegin, die Kleinschreiberin Else Buschheuer, in ihrem Hypochondrie-Blog (als „fundstück des tages“ unterm 30. Juli 2008) auf einen acht Jahre alten You-Tube-Clip aufmerksam, in dem sie sich mit dem Ex-Großkritiker Marcel Reich-Ranicki in der SFB-Kulturtalkshow Alex über die Frage zauselt, von wem denn nun eigentlich jener bekannte Reim stammt: „Die schärfsten Kritiker der Elche / waren früher selber welche.“

Der ehemalige Elch verfiel in den altbekannten Fehler und plädierte energisch für Robert Gernhardt. Die damals, lang ist’s her, als aktueller Shooting Star der gesamtdeutschen Literaturszene gefeierte Autorin von Ruf! Mich! An! wusste es besser und beharrte auf Bernstein. Davon wollte Reich-Ranicki nichts wissen, bis ihm dämmerte, dass vielleicht doch etwas dran sein könnte an dieser Zuschreibung des Zweizeilers. Er hatte, wie er offen bekannte, bei diesem Namen an den US-amerikanischen Komponisten, Dirigenten und Pianisten russisch-jüdischer Abstammung Leonard Bernstein gedacht. So zeugt gute Komik ihre ungewollten Kinder.

Nach glaubwürdigem Bekenntnis des Autors der legendären zwei Zeilen, der mit bürgerlichem Namen Fritz Weigle heißt und sich Mitte der 1960er-Jahre als ständiger Mitarbeiter der Zeitschrift Pardon unter dem Pseudonym F. W. Bernstein bemerkbar machte, entstand das Elchgedicht in einer Winternacht in einem Volkswagen auf der Fahrt von Paris nach Colmar, als Ergebnis eines poetischen Brainstormings, an dem neben ihm noch die mittlerweile verstorbenen Pardon-Kollegen Robert Gernhardt und F. K. Waechter beteiligt waren.

Die Geburt des unsterblichen Reims erfolgte auf schneeglatter Straße mühevoll in vielen kleinen Schritten. Zuletzt dichtete Bernstein: „Die schärfsten Kritiker der Elche / wären gerne selber welche.“ (Man beachte den kleinen, aber feinen Unterschied zum bis heute tradierten „Klassiker“!) Darauf erwiderte Gernhardt eine Sekunde später: „Die größten Kritiker der Molche / waren früher eben solche.“ Somit ist das so überaus erfolgreiche Mini-Gedicht doch eigentlich eine Koproduktion von Gernhardt und Bernstein. Und insofern hatten Reich-Ranicki und Buschheuer beide Recht.

Aber nur Recht im Unrecht. (Wie könnte mehr auch rauskommen im Nonsens-Format einer gesamtdeutschen Kulturtalkshow, zwischen solchen inkompatiblen Gesprächspartnern, die nichts gemein haben als ihre Gier nach Prominenz?) Denn das alleinige Urheberrecht auf die ja viel bessere, treffendere, zu Unrecht vergessene Fassung des Gedichts gebührt allein Fritz Weigle alias F. W. Bernstein: „Die schärfsten Kritiker der Elche / wären gerne selber welche.“

[Titelbild: signierte und datierte Illustration von Hans Traxler; aus dem Besitz des Autors.]