Geschmacksache

owenslong

„Olympische Spiele, das bedeutet: Wochen eines schönen, frohen Festes, bedeutet für die Fremden, die daran teilnehmen: eine wunderbare Reise […] in ein interessantes Land, umfassende Gastfreundschaft dortselbst, Empfang bei Hohen und Höchsten, Jubel und Ehrungen ohne Zahl, großartige Kämpfe mit den Besten auf gleichem sportlichen Gebiet und vielleicht herrlichen Sieg, Möglichkeit, dem Vaterland Ruhm zu erwerben und den eigenen Namen mit der Goldschrift des Triumphes ins Buch der Weltpopularität einzutragen.“

Wen wundert’s, dass Athleten aller olympischen Disziplinen alles daran setzen, um an diesem glanzvollsten aller sportlichen Wettkämpfe teilnehmen zu dürfen? Alfred Polgar jedenfalls, den ich hier zitiere, hatte wenig Verständnis für die Erwartung kindlicher Phantasten, „es könnte Kulturmenschen geben, die sich an solchem Fest nicht beteiligen werden, wegen des kleinen Schönheitsfehlers, daß es in einem Reich stattfindet, dessen Herren kaltblütig und systematisch ein paarmal hunderttausend schuldloser Mitbürger zur Verzweiflung und zum Selbstmord treiben.“ (Alfred Polgar: Zuviel verlangt; hier zit. nach Schriften, Bd. 1. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag, 1982, S. 135 f.)

Schon vor 72 Jahren wussten die Gastgeber, was sie der Jugend der Welt und ihrer naiven Zuversicht schuldig waren. Kurzfristig wurden antisemitische Parolen an den Berliner Hauswänden übermalt und sogar die Judenverfolgung vorübergehend eingestellt. Das antisemitische Hetzblatt Der Stürmer durfte in Berlin für die Dauer der Spiele nicht öffentlich am Kiosk ausliegen. Konnte man einem solchen Regime tatsächlich weiter Rassismus vorwerfen, wo doch sogar ein Neger namens Jesse Owens an den Start gehen und gleich vier Goldmedaillen gewinnen durfte? Der erinnerte sich noch Jahrzehnte später voller Dankbarkeit an die Gastfreundschaft: „Als ich am Kanzler vorbeikam, stand er auf, winkte mir zu und ich winkte zurück. Ich denke, die Journalisten zeigten schlechten Geschmack, als sie den Mann der Stunde in Deutschland kritisierten.“ (Das Bild zeigt ihn beim Fachsimpeln mit seinem arischen Konkurrenten Lutz Long.)

Die Hoffnungen des Internationalen Olympischen Komitees werden sich auch diesmal erfüllen. Die Spiele in Peking werden nicht zum Eklat. Das Land der Mitte zeigt sich von seiner freundlichsten Seite, selbst die katastrophale Luftverschmutzung konnte immerhin so weit reduziert werden, dass den Marathonläufern kein Erstickungstod droht. Und sogar die Vollstreckung der Todesstrafe, in China für 68 verschiedene Delikte wie selbst Diebstahl und Steuerhinterziehung an der Tagesordnung, wird für die Dauer des Events ausgesetzt.

Aber gleich nach dem 24. August 2008, wenn das olympische Feuer erloschen ist, heißt es dann wieder: “The butchery must go on!”