Snapshot (I)

funkmasten

Seit jeher verliebt sich mein Blick beim Flanieren in solche Bilder unauffälliger Hässlichkeit. Die traurige Belanglosigkeit der Dinge wirkt auf mein Auge wie eine stumme Klage. Mein immer fleißiger Kopf hat dann nur zwei Möglichkeiten, mit einem solchen Eindruck fertig zu werden. Entweder ersinnt er auf einer „höheren Ebene“ zu dem zufälligen Arrangement der Nichtigkeiten eine Bedeutung; oder er flüchtet in einen Migräneanfall.

Wie durchgestrichen steht das Haus vor leicht bewölktem Himmel. Dass die straff gespannten Kabel über dem Schienenweg der Straßenbahn Strom zuführen, stark genug, um fünfzig Fahrgäste und mehr von A nach B zu befördern, ist ein nur gewusstes, nicht sichtbares Akzidens meiner Betrachtung.

Und dass der kleine Hain der Funkmasten auf dem Dach des Hauses dem Handybenutzer in der Straßenbahn ermöglicht, der wartenden Gefährtin am Orte B sein baldiges Eintreffen anzukündigen und die Frage zu stellen: „Schatz, soll ich Brötchen mitbringen? Zwei oder drei? Okay!“ – es ist bei diesem Anblick eines nahezu abstrakten Bildes bloß eine kostenlose Zugabe meiner Phantasie.

Aber das zarte Rosa der Rechtecke zwischen den quadratischen Fenstern! Ist es nicht rührend? Wie es sich ebenso trotzig wie vergeblich gegen diese überwältigende Tristesse auflehnt? Da muss ich unwillkürlich an den Blumenstand in Jacques Tatis Meisterwerk Playtime denken.

Bilder wie dieses bringen mich aus dem Gleichgewicht. Je länger ich sie betrachte, desto fremder schauen sie, in Abwandlung eines Satzes von Lichtenberg, zurück. Die digitale Kameratechnik ermöglicht es, visuelle Aphorismen per Knopfdruck zu verfertigen. Das bedeutet einen Fortschritt, weil mir bei der nachträglichen Betrachtung meiner Schnappschüsse auf dem Monitor andere Gedanken kommen als an Ort und Stelle. Die Migräne immerhin ist abgewendet.