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Svensson

Monday, 16. June 2008

est

Die schwedische Stadt Västerås ist Kulturbanausen allenfalls durch die vor zwei Jahren dort ausgetragene Weltmeisterschaft im Gummistiefelweitwurf ein Begriff. Gebildetere Zeitgenossen wissen, dass dort am 17. Mai 1936 der Schriftsteller Lars Gustafsson das Licht der Welt erblickte. Ich habe seinen fünfbändigen Romanzyklus Die Risse in der Mauer vor vielen Jahren gern gelesen und dabei erstmals wahrgenommen, dass ich ein Melancholiker bin.

Gustafssons deutsche Leser haben das große Glück, in Verena Reichel auf eine tatsächlich kongeniale Übersetzerin aus dem Schwedischen vertrauen zu dürfen. Und so liegen auch die naturgemäß schwer zu übersetzenden Gedichte dieses großen Melancholikers in tadellosen deutschen Übertragungen vor.

Västerås hatte bis vorgestern aber noch einen weiteren großen Sohn, dessen Lebenswerk keiner Übersetzung bedurfte: Esbjörn Svensson. Mit seinem Trio e.s.t. hat der brillante Pianist seit 1990 der Welt des Jazz viele neue, begeisterte Fans verschafft, wenngleich die Hardliner unter den Anhängern dieser Musikrichtung, wahrscheinlich nicht ganz zu Unrecht, bezweifelten, dass die Töne, die Svensson und seine Gefährten Dan Berglund am Bass und Magnus Öström am Schlagzeug ihren Instrumenten entlockten, überhaupt noch Jazz seien.

Von Lars Gustafsson aus Västerås gibt es ein (von Verena Reichel übersetztes) Gedicht, Über das Verhältnis zur Musik. Das lautet so: „Ich stelle mir eine völlig geschlossene Kugel vor. // Diese geschlossene Kugel enthält etwas. // Ein starkes Magnetfeld ordnet Eisenspäne zu Mustern. // Durch kompakte Wände hindurch. // So benutze ich Musik, // und es weiß weder die Musik noch ich, / womit wir da eigentlich umgehen.“ (Lars Gustafsson: Die Stille der Welt vor Bach. Gedichte. München Wien: Carl Hanser Verlag, 1982, S. 41.)

Vorgestern ist Esbjörn Svensson beim Tauchen im Schärenhof bei Stockholm im Alter von nur 44 Jahren ertrunken. Eine große musikalische Seele ist endgültig verstummt. Ich trauere um die nie mehr zu hörenden melancholischen Töne der Zukunft, die uns ein sinnloses Schicksal für alle Zeit vorenthalten hat. Die geschlossene Kugel ist auf den Grund gesunken.