Wesley

sneijder

Ich bekenne: Ich habe mir gestern schon wieder ein Fußballspiel angeschaut. Vielleicht musste das sein, weil die vertane Zeit, die ich beim verkrampften Gekicke der deutschen Nationalmannschaft gegen Kroatien zugebracht hatte, nach Kompensation gierte. Ich hatte noch in blasser Erinnerung, dass dieses Spiel doch durchaus auch ästhetische Reize entfalten und jene triumphale Leichtigkeit zur Schau stellen kann, die dem staunenden Betrachter bei allem verbissenen Kampf momentweise das nahezu schwerelose Bewegungsmuster eines Balletttanzes bietet.

Das Glück wollte es, dass ich bei meiner zufälligen Wahl an das zweite Vorrundenmatch in der Gruppe C zwischen Frankreich und den Niederlanden geriet. Mal abgesehen davon, dass ich Zeuge wurde, wie wohl erstmals in der Geschichte des Fußballs der amtierende Weltmeister (Italien) und der Vizeweltmeister (Frankreich) von ein und derselben, vor dem Turnier nicht eben zum allerengsten Kreis der Favoriten gezählten Mannschaft nicht bloß besiegt, sondern geradezu deklassiert wurden – dieses Spiel war ein Meisterstück.

Dass es dazu werden konnte, verdankt es allerdings nur zur Hälfte seinem Sieger. Der verbissene, kollektive Widerstand der Équipe Tricolore, die über weite Strecken das Spiel beherrschte, in einem Trommelfeuer blindwütiger Attacken die Nederlands Elftal unter argen Druck setzte und den routinierten holländischen Keeper Edwin van der Sar mehrfach zu grandiosen Glanzparaden herausforderte, trug zu diesem Kunstwerk ebenso bei wie das bis zuletzt nicht nachlassende, trotzige Aufbäumen der französischen Individualisten, allen voran Franck Ribéry und Thierry Henry.

Meine große Entdeckung des Abends war allerdings der Niederländer mit der Rückennummer 10, der 24-jährige Wesley Sneijder. Nachdem er schon durch seine kluge Vorgabe auf Robben dessen sensationelles Tor zum 3 : 1 in der 72. Minute vorbereitet hatte, nur eine Minute nach dem französischen Anschlusstreffer von Henry, gelang ihm noch kurz vor Schluss einer seiner grandiosen Distanzschüsse zum 4 : 1-Endstand. Daran sieht man, was für ein blutiger Laie ich in Sachen Fußball bin und auch bleiben werde, denn schließlich wechselte dieser schmächtige Sneijder bereits vor einem Jahr zur höchsten jemals von Ajax Amsterdam kassierten Ablösesumme in die Primera Division von Real Madrid: 27 Millionen Euro war den Spaniern dieser Transfer wert.

Ich kann nicht versprechen, dass ich mir nicht doch noch ein drittes Spiel anschaue, und sei es zum Abgewöhnen. Dazu bietet sich Deutschland gegen Österreich am kommenden Montag ja geradezu an.

One Response to “Wesley”

  1. Günter Landsberger Says:

    Wenn Deutschland gegen Österreich spielt, bin ich ganz neutral und gönne der Mannschaft den Sieg, die, wenn’s drauf ankommt, unleugbar besser spielt. Sollten beide im Endeffekt ausscheiden, gratuliere ich wieder (wie gleich nach dem ersten Spiel der Holländer) meinem österreichischen Vetter, der mit seiner niederländischen Familie in den Niederlanden lebt, wenn nämlich die Niederlande auch im letzten Spiel dieser EM den Sieg davontragen. Bis jetzt haben sie besser gespielt als alle anderen. Nur die portugiesische Mannschaft kann (könnte) da eventuell mithalten.

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