Archive for May 29th, 2008

Inspiration

Thursday, 29. May 2008

Die linke untere Kieferhöhle lässt sich heute mit allen Mitteln nicht mehr beruhigen. Der dort vor Jahren halb abgebrochene Backenzahn, aus dem die giftige Amalgamfüllung von anno Tobak ins Leere ragt, schickt seinen pulsierenden Schmerz in die triste Diesseitigkeit.

Aber ich wollte doch nicht in die Fußstapfen jener wehleidigen Bloggerinnen treten, denen zum Tage selten mehr einfällt als die immerzu kränkelnde Befindlichkeit. Nichts schien mir überflüssiger als die Bekundung solch alltäglicher Zipperlein.

Also lassen wir das und verschweigen hier auch konsequent das enervierende Ziehen im rechten Ellbogengelenk, seit heute Mittag. Ob es von der Funkmaus herrührt und ihren millimetergenauen Steuerungen Tag für Tag und Nacht für Nacht, gewohnheitsmäßig; oder eher vom außergewöhnlichen Transport eines schließlich doch nicht passenden Sprungrahmens vom Sperrmüll ein paar Häuser weiter in den Bettkasten meines jüngsten Sohnes? Es ist schließlich einerlei.

Mein Herz? Dass das noch immer unverdrossen seinen Dienst tut, es ist mehr als ein Wunder. Trotz zwanzig Gauloises und täglicher Weißweinintoxikation? Na, immerhin steuere ich mit Betablockern und Hydrochlorothiazid dagegen.

Unvernünftig? Mag sein. Die Vorstellung aber, dass jeder Tag mein letzter sein könnte, und zwar nicht rein theoretisch, sondern aus immer triftiger werdenden Gründen; nämlich wegen der Folgen einer rücksichtslos ungesunden Lebensweise, die sich tagtäglich deutlicher und schmerzvoller bemerkbar machen – diese Vorstellung inspiriert ungemein.

Würfelwürfe

Thursday, 29. May 2008

wurfelbrett

Es gibt für das, was ich hier versuche, offenbar bisher noch keine taugliche Gattungsbezeichnung. Der bisherige Arbeitstitel für diese Rubrik, „Journal intime“, hat mich von Anfang an nicht recht überzeugen können.

Worum soll es denn hier eigentlich gehen? Um kurze Prosastücke, fokussiert und zugleich weit ausholend, vom Fernblick inspiriert und in den kleinen Einzelheiten mikroskopisch genau, geschliffen und geschärft bis ins letzte Detail, zugespitzt auf den jeweils einen, grundsätzlichen Punkt. (Dass ich von diesem Ziel noch weit entfernt bin, muss mir niemand sagen. Ich probiere und experimentiere. Schließlich betrete ich Neuland.)

Keine Aphorismen also, aber ebenso wenig Essays, gewiss auch keine „short stories“, und schlichte Tagebuchnotizen schon gar nicht.

Das Weblog meiner Träume ist schließlich, um auch diesen Holzweg abzusperren, kein klassisches Feuilleton mit seiner obligatorischen Glosse und den Kritiken zu diesem und jenem. Allein schon deshalb nicht, weil es mehr erlaubt als die alte Presse. Der Leserbrief ist tot – es lebe der Kommentar. Und weil das Blog auch mehr ermöglicht als die historisch-kritische Textausgabe. Die Fußnote ist tot – es lebe die kreative Verlinkung. Von eingestreuten Podcasts mal ganz abgesehen.

Gutenbergs gutes altes Buch liegt im Sterben – womit das Schreiben vielleicht endlich die Chance erhält, in jenes „vollkommene Buch“ zu münden, das Stéphane Mallarmé einst ersehnte. Seinem langen Gedicht Un coup de dés jamais n’abolira le hasard zu Ehren nenne ich diese Rubrik rückwirkend ab heute: „Würfelwürfe“. Der Zufall erhält seine zweite Chance.