Archive for May 27th, 2008

Gizeh (V)

Tuesday, 27. May 2008

lolita

Was hat es nun aber mit dem sonderbaren Namen des Frotteurs aus Rouen auf sich? Humbert kann sowohl ein Vorname (zwei Grafen von Savoyen hießen z. B. so, der jüngere wurde sogar heilig gesprochen) als auch ein Nachname sein. (Claas Hugo Humbert etwa war ein deutsch-französischer Romanist, der mit Victor Hugo korrespondierte.)

Als ich den Namen Humbert in Flauberts Reisetagebüchern las, musste ich unwillkürlich an jene ebenso berühmte wie zwielichtige Gestalt der Weltliteratur denken, die sowohl mit Vor- als auch mit Nachnamen Humbert heißt: an den pädophilen Helden in Vladimir Nabokovs Roman Lolita (1955).

Leider war ich nicht der Erste, der diesen Gedanken hatte. Kilroy war längst schon da gewesen. „Ist es nicht vielleicht ein bemerkenswerter historischer Zufall,“ so fragt Julian Barnes in seinem bereits zitierten Roman Flaubert’s Parrot, „daß der bedeutendste europäische Romancier des neunzehnten Jahrhunderts bei den Pyramiden die Bekanntschaft einer der berüchtigtsten Romanfiguren des zwanzigsten Jahrhunderts machen sollte? Daß Flaubert, noch feucht vom Knaben-Aufspießen in Kairos Badehäusern, auf den Namen von Nabokovs Verführer minderjähriger amerikanischer Mädchen stoßen sollte? Und weiter, welchen Beruf hat diese einläufige Version von Humbert Humbert? Er ist ein frotteur. Wörtlich: ein französischer Schleifer; aber auch einer jener sexuell Abartigen, die sich gern in der Menge reiben.“ (A. a. O., S. 98.)

Was sagt denn die Nabokov-Forschung dazu? Ihr blieb, soweit ich es übersehe, dieser „bemerkenswerte historische Zufall“ bisher verborgen. Der Autor der Lolita selbst, so wissen die Exegeten wohl zu berichten, habe auf den „unangenehmen doppelten Klang“ des Namens Humbert Humbert hingewiesen, der zugleich ein Adelsname sei und an das Worte „humble“ (bescheiden oder demütig), an das spanische „hombre“ (Mann), an das französische „ombre“ (Schatten) und an das Kartenspiel L‘Hombre erinnere. Für die Nabokovianer ist die Sonne über den Pyramiden offenbar noch nicht aufgegangen.

Ich bin schon etwas neidisch auf Barnes’ unbestreitbares Prioritätsrecht bei dieser sensationellen Entdeckung, das muss ich unumwunden zugeben. Aber einen frotteur als „Schleifer“ zu bezeichnen, und zwar noch angeblich „wörtlich“, das ist ja nun doch ziemlich daneben. Wohl kann man einen Parkettboden bekanntlich auch abschleifen. Diese radikale Maßnahme wird aber erst dann nötig, wenn man den Boden zuvor nicht regelmäßig hat einwachsen und polieren lassen – nämlich von einem Frotteur. Mit dieser ungeschliffenen Übersetzung wagt sich Barnes (oder sein Übersetzer Michael Walter) jedenfalls auf glattes Parkett.