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Vanitas

Tuesday, 20. May 2008

eier

Ich habe mir zeitlebens etwas darauf zugute gehalten, den scheinbar widersprüchlichsten Geistesgrößen der Vergangenheit und Gegenwart mit gleicher Aufgeschlossenheit zu begegnen. Warum sollte ich nicht Platon und Aristoteles, Hegel und Schopenhauer, Marx und Bakunin, Karl Kraus und Alfred Kerr, Thomas Mann und Theodor Lessing, André Breton und Antonin Artaud gleichermaßen mein schlichtes Herz und meinen neugierigen Geist öffnen? Mochten sie einander im Leben noch so sehr spinnefeind gewesen sein – die Nachwelt durfte es besser wissen. Und heißt es nicht auch: Gegensätze ziehen sich an?

Unter den Autoren der mir vorangehenden Generation schienen mir Jörg Schröder (Jahrgang 1938) und Walter Kempowski (Jahrgang 1929) immer ein besonders interessantes Gegensatzpaar. Beide zogen mich in ihren Bann, durch ihre obsessive literarische Produktion, durch ihre Außenseiterrolle im Literaturbetrieb, durch die vielen Feinde, die sich an ihnen verschlissen und sich dabei auf sehr unterhaltsame Weise lächerlich machten. Zu beiden hatte ich vorübergehend persönlichen Kontakt. Und zu beiden stellte ich mir vor, sie würden es mir schwer verübeln, wenn sie von meiner freundlich-aufgeschlossenen Haltung gegenüber dem jeweils anderen wüssten.

An beiden erkannte ich bald ein gerüttelt Maß Eitelkeit, jene trotzige Selbstbehauptung, die keinen Besseren neben sich dulden kann. Aber das verzieh ich ihnen gern, denn ohne diese archaische Triebkraft hätte wohl kein wirklich Großer sein Werk gegen die ach so trivialen Widerwärtigkeiten des Alltags vollbringen können. Der Zufall will es, dass jetzt diese sich scheinbar so fremden Solitäre der deutschen Nachkriegsliteratur in ihren jüngsten Werken ihre Eggheads aneinander stoßen. Ich überlasse es dem geneigten Leser zu entscheiden, welche Schale dabei bricht.

Kempowski schreibt unterm Datum vom 12. November 1991 in seinem soeben posthum veröffentlichten Tagebuch Somnia: „Wellershoff sagte, Jörg Schröder sei damals ein unglaublich geltungsbedürftiger Mensch gewesen. (Ich lese gerade wieder [Schröders Buch] Siegfried). Besaß ein Schloß und einen handzahmen Leoparden. KF [Kempowskis Sohn Karl-Friedrich] hat ihn auf der [Frankfurter Buch-]Messe mal angesprochen, da war er ganz vernünftig.“ (S. 454) – Und Schröder bechreibt in seiner eben erschienenen elften Folge der „Schwarzen Serie“ von Schröder erzählt den im vorigen Jahr verstorbenen Kempowski als einen, „den ich als radikalen Chronisten bewundere, wegen seines unbestechlichen Blicks und – kein Gegensatz! – trockenen Humors. Außerdem schätzte Kempowski Siegfried und schanzte mir 1981 für Cosmic sogar den Bertelsmann-Club-Preis zu, immerhin dreißigtausend Mark. Den Preis konnte ich nicht annehmen, obwohl wir das Geld damals gut hätten gebrauchen können. […] Um so betrüblicher fand ich, daß Walter Kempowski, der jahrelang in der Presse rauf und runter gelobt wurde, dem eine große Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste ausgerichtet wurde, dessen Werke man verfilmte – sie liefen zigmal wiederholt im Fernsehen –, dessen Verleger sogar das ökonomisch wahnwitzige Echolot-Projekt realisierte, noch immer unzufrieden war. Mit dem Sekundärmaterial zu diesem Autor kannst du vierzig Marbacher Kästen füllen, aber das war ihm alles nicht genug. Er beklagte sich bitter, weil man ihm den Büchner-Preis vorenthalten hatte. Grämlich moserte er noch wenige Wochen vor seinem Tode, daß er nicht so berühmt sei wie Grass und Walser. Ja, da hätte er eben schlechter schreiben müssen!“ (Eitelkeit auf Eitelkeit, S. 29 f.)

Na, wenn das kein beschauliches Stelldichein ist, über den Tod hinaus. Ich liebe sie beide, Walter Kempowski und Jörg Schröder. Und ich nenne diese beiden Königskinder des Trotzes und der Eitelkeit – kein Gegensatz! –, die zueinander nicht kommen konnten, mit verschmitztem Übermut in einem Atemzug: ganz Große!