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Frauenmarathon

Wednesday, 14. May 2008

hilary

Etliche Läufer, die zwei Stunden zuvor putzmunter an den Start gegangen waren, lagen bereits keuchend am Rande der Strecke. Der weite Abstand zwischen dem Spitzenreiter und seiner Verfolgerin blieb nahezu unverändert. Selbst ihre eigenen Betreuer zuckten nur noch mit den Achseln, wenn sie von den wegelagernden Reportern nach den Gewinnchancen der Zweitplatzierten befragt wurden.

Der Blick der Verfolgerin war starr nach vorn gerichtet. Je aussichtsloser die Aufholjagd für sie wurde, desto verbissener glaubte sie an den Sieg. Sie musste jetzt siegen, sie hatte alles auf eine Karte gesetzt. Und war sie nicht schon einmal durch die Hölle völliger Aussichtslosigkeit gegangen, als niemand daran glaubte, dass sie noch die Spur einer Chance hätte, den Sieg gegen einen offenbar übermächtigen Gegner davonzutragen? Und war ihr damals denn nicht genau dieses „Unmögliche“ geglückt?

Freilich war der Unterschied nicht zu übersehen. Damals war ihr Widerpart die öffentliche Meinung gewesen, angeheizt aus dem Lager des Feindes. Jetzt aber kämpfte sie nicht gegen den eigentlichen Feind, sondern gegen einen Teamkollegen auf dem Weg zur Qualifikation für den Endlauf. Dies war schließlich erst das Semifinale, das Rennen um die Landesmeisterschaft stand ja noch bevor.

Der Mann da vorn musste sich ebenso verausgaben wie sie. Würde sie aufgeben, dann könnte er Kräfte sparen für das Finale. Aber sie konnte nicht das Handtuch werfen. „Die Hoffnung stirbt zuletzt.“ Wer hatte das noch gesagt? Horaz? Es war ein weiter Weg gewesen bis zu diesem vorläufig zweiten Platz, den sie nur erreichen konnte, weil sie in tausend ähnlich aussichtslosen Situationen durchgehalten hatte. Und selbst wenn er längst uneinholbar vorn lag, so konnte er ja immer noch stolpern und straucheln.

Auf Leben und Tod. „Und setzet ihr nicht das Leben ein, / nie wird euch das Leben gewonnen sein.“ Aber doch hieß es auch in einem Märchen: „Etwas Besseres als den Tod findest du allemal.“ Sie hörte ihr eigenes Hecheln wie von sehr weit her. Gab es überhaupt ein Ziel? Es musste ja ein Ziel geben. Wo sonst sollte sie die ehernen Worte sprechen, die ihr schon so lange auf den Lippen lagen: „Freut euch, wir haben gesiegt!“ Und so lief sie dahin.