Archive for May 13th, 2008

Achtziger

Tuesday, 13. May 2008

ich

Ich bin gebeten worden, für Westropolis einen Blogbeitrag über die Literatur der 80er-Jahre des vorigen Jahrhunderts zu schreiben. Abgesehen mal davon, dass es ja zweifelhaft scheinen könnte, Literaturgeschichte nach der Willkür des Dezimalsystems zu strukturieren; abgesehen auch davon, dass fälschlicherweise die Jahrzehnte nach der Zehnerziffer gerechnet werden, tatsächlich aber z. B. das vorletzte Jahrzehnt des zweiten Jahrtausends nach Christi exakt vom 1. Januar 1981 bis zum 31. Dezember 1990 dauerte; abgesehen davon, dass Literatur ein eher unscharfer Begriff ist und fraglich bleibt, ob damit nun ausschließlich die sog. „Schöne Literatur“, also die Belletristik, gemeint sein oder ein viel weiteres Feld abgeschritten werden soll – die Aufgabenstellung hat ja trotz (oder vielleicht gerade wegen?) dieser Ungenauigkeiten durchaus ihren Reiz.

In den 80ern war ich ein junger Mann, zwischen Mitte zwanzig und Mitte dreißig. War ’s die beste Zeit meines Lebens? In diesen schon so fernen Jahren, von 1980 bis 1991, kamen meine fünf Kinder zur Welt. Ich arbeitete als Buchhändler bei Baedeker an der Kettwiger Straße, in wechselnden Positionen. Unsere junge Familie zog in unserer Heimatstadt Essen zweimal um: von Holsterhausen nach Werden, von Werden in den Stadtwald. Ich begann die Veranstaltungsreihe meiner „Literarischen Soireen“. Und unterdessen fand ich noch genug Zeit zum Lesen, denn schon damals verzichtete ich dankend auf minderwertigen Zeitvertreib. Man lebt schließlich nur einmal.

Und sonst? Der Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan und der Beginn des ersten Golfkriegs zwischen Iran und Irak lassen das Dezennium mit Säbelgerassel beginnen, die Wahl eines B-Movie-Revolverhelden zum Präsidenten der USA folgt auf dem Fuße. Die Anerkennung von AIDS als epidemische Seuche lässt sich global ebensowenig vermeiden wie national Kohls Kanzlerschaft. Gorbatschow verkündet zur Halbzeit des Jahrzehnts Glasnost und Perestroika und läutet damit das Ende des „Kalten Krieges“ ein, bevor im ukrainischen Tschernobyl der Kommunismus russischer Prägung seinen Todesstoß empfängt und der Kommunismus chinesischer Prägung sich nicht anders zu helfen weiß als mit einem Massaker auf dem „Platz des himmlischen Friedens“. Dann fällt die Berliner Mauer. Das war ’s.

War ’s das? Vielleicht im großen Rahmen der Politik. Im kleinen Rahmen, in unseren Wohnzimmern und Küchen fanden andere Veränderungen statt. Anrufbeantworter, Videorekorder und Mikrowelle halfen uns bei der ökonomischen Verwaltung unserer Arbeits- und Freizeit. Weil die Zeit immer knapper wurde, bekam McDonald’s als erste Fastfood-Kette seine Chance auch in “Old Europe” – und nutzte sie: „Gut, daß es McDonald’s gibt.“ So lautete 1982 der Slogan in Deutschland; und 1987: „Der Platz wo Du gern bist, weil man gut ißt.“ Das Privatfernsehen sorgte mit seinen Werbeunterbrechungen dafür, die Generation A (für Adipositas) heranzuzüchten, während das Krümelmonster aus der Sesamstraße in den Öffentlich-Rechtlichen vormachte, wie der Kalorienfraß ins Maul gestopft wird. Alles eins?

Der Rückblick auf die Literatur dieses Jahrzehnts gewährt eine der wenigen trostspendenden Perspektiven, die ich meinen besten Lebensjahren, unabhängig vom Paradies der Privatheit, abzugewinnen vermag. Aber davon werde ich, „wie gesagt“, an anderer Stelle berichten. Die genialste Erfindung der 1980er-Jahre war aus meiner Sicht übrigens Rubik’s Cube, ebenso zwecklos wie simpel – die literarischen Erfindungen dieses Jahrzehnts allerdings nicht gerechnet.