Archive for April 26th, 2008

Balance

Saturday, 26. April 2008

desnos

Jeder Tag ist ein Hochseilakt zwischen zwei möglichen Abstürzen. Rechts gähnt die tödliche Langeweile, links will mich die Überfülle der Ereignisse, Reize, Herausforderungen, Aufgaben, Pflichten, Verantwortungen zerfleischen. Immer entweder ein maßloses Zuviel – oder ein quälender Mangel, der den drohenden, endgültigen Stillstand im Schilde zu führen scheint.

Jetzt will ich aber nicht schon wieder jammern. Was wäre denn die Alternative? Die Behäbigkeit gemächlichen Fortschreitens auf einem zwielichtigen, gefahrlosen, breiten Mittelweg. Die graue Durchschnittlichkeit jahreszeitloser Einheitstage, weder schwarz noch weiß, von Farben nicht zu reden. Will ich das? Sehne ich ein solches Einerlei herbei, damit mein Herz endlich in einem gleichmäßigeren Rhythmus schlagen kann?

Nein.

Also sind sie weiter auszuhalten, die ewigen Widersprüche, zwischen Systole und Diastole, Zweifel und Gewissheit, Liebe und Hass, Detailversessenheit und Verallgemeinerung, Selbstüberschätzung und Minderwertigkeitsgefühl, dem Blühen und Verwelken, Antwortenkönnen und Ratlossein, Nehmen und Geben, Verteidigen und Angreifen, Dulden und Zufügen, Kämpfen und Scheitern, zwischen Ebbe und Flut, Sonnenauf- und -untergang.

Tagaus, tagein: ein Einerlei bei allem Wechselspiel. Mag ich das? Ich muss wohl noch mögen wollen, für ein Weilchen, über den Tag hinwegschwebend in ungewisse Zukunft. Das Ende steht fest, sein Zeitpunkt ist ungewiss. Daran ist nichts beklagenswert, ebensowenig zu begrüßen. Conditio humana. Keine Anstrengung ist lohnender als die um das tägliche, alltägliche Gleichgewicht, selbst wenn das Ergebnis meist nur lautet: Ich hab’s auch heute gewagt, auf dem Hochseil zu balancieren – und bin nicht, nach links oder rechts, hinabgestürzt in die so verschiedenen, ja gegensätzlichen, komplementären Abgründe. Gefallen wohl, und das scharfe Drahtseil hat mich mitten entzweigeschnitten. Aber morgen ist auch noch ein Tag, und die Nacht zwischen heute und morgen, mit ihren Träumen, lässt mich wieder zusammenwachsen.

(Für Robert Desnos, den Mann im Bild.)

Herztöne

Saturday, 26. April 2008

„Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.“ (Deutsches Sprichwort)

Und wer „das Herz am rechten Fleck“ hat, wird dann recht gesprochen haben.

„Wenn das Herz am rechten Fleck ist, spielt es keine Rolle, wo der Kopf ist.“ Das waren die letzten Worte von Walter Raleigh vor seiner Enthauptung am 29. Oktober 1618.

Wem aber „das Herz in die Hose gerutscht“ ist, dem kommt kein freies Wort über die zitternden Lippen.

Der sollte den Rat beherzigen: „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.“