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Ravashi-Syndrom

Thursday, 24. April 2008

apfel

In dem sehenswerten Film Adams Äpfel von Anders Thomas Jensen (Dänemark 2005) diagnostiziert Dr. Kolberg bei dem durch keine persönliche Katastrophe von seinem festen Glauben an das Gute abzubringenden Pfarrer Ivan, der an einem tennisballgroßen Hirntumor leidet, ein “Ravashi-Syndrom”.

Dieses Krankheitsbild, das man merkwürdigerweise weder im Klinischen Wörterbuch von Willibald Pschyrembel noch im Lexikon der Medizin von Zetkin und Schaldach findet, ist laut Dr. Kolberg nach einem indischen Fußballspieler benannt, der sich bei einem Go-Kart-Unfall beide Füße abtrennte und anschließend nach Hause lief, ohne von dieser dramatischen körperlichen Beeinträchtigung Kenntnis zu nehmen. Ja, mehr noch: Ravashi läuft in den nächsten Wochen auf seinen Stümpfen zu mehreren Fußballmatches seiner Mannschaft auf und schießt als Mittelfeldspieler etliche Tore!

Ist dies nicht ein wunderbar treffendes Bild für die Unverdrossenheit, mit der wir trotz aller irreversiblen Beschädigungen unserer Lebensgrundlagen weitermachen, als wäre nichts gewesen? Augen zu und durch? Business as usual? „Apokalypse-Blindheit“ hat Günther Anders dieses Syndrom genannt.

Der wirklichkeitsblinde Pfarrer Ivan in Jensens Film wünscht sich von seinem Schutzbefohlenen, dem bösen Skinhead Adam, einen Apfelkuchen. Aber der Baum, der dazu die Äpfel liefern soll, wird von allerlei Plagen heimgesucht. Erst fällt ein Schwarm schwarzer Raben über die noch unreifen Früchte her, dann dezimiert ein Wurmbefall den traurigen Rest, und schließlich schlägt gar noch der Blitz in den Stamm ein. Ein einziger Apfel, den der Trinker, Vergewaltiger und Kleptomane Gunnar gestohlen hatte, bleibt übrig. Daraus backt dann Adam sein Küchlein für den Pfarrer. Ein Rest Hoffnung bleibt bis zuletzt: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“ (Martin Luther)

Wir alle leiden offenbar längst unheilbar am Ravashi-Syndrom. Eine Therapie ist bisher nicht bekannt. Gäbe es sie und wäre sie erfolgreich, dann führte sie gewiss zum sicheren Tod.