Kommentare

Was ich an meinem Weblog und an Blogs ganz allgemein so reizvoll finde: Erstens die Leichtigkeit und Geschwindigkeit, mit der ich in wenigen Stunden einen Text taufrisch vom Schreibtisch weg veröffentlichen, ihm zu einer wenigstens potenziellen Weltöffentlichkeit verhelfen kann. Zweitens die theoretisch unbegrenzte Dauerhaftigkeit seiner Präsenz im Web, auch wenn ich damit das Risiko eingehe, dass noch in fernster Zukunft meine öffentlichen Meinungsäußerungen privatim gegen mich verwendet werden könnten. Drittens die Möglichkeit nachträglicher Korrektur, wobei mein Berufsethos als Schreibender mich dazu verpflichtet, ausschließlich formale Fehler zu korrigieren und ich inhaltliche Änderungen selbst dann nicht vornehme, wenn sich meine Meinung in der Sache geändert hat oder ich gar einsehen muss, unbedacht peinlichen Nonsens abgesondert zu haben. Viertens die bequeme Verweistechnik, das Verlinken auf andere Inhalte im Netz, mit deren Hilfe ich meine Quellen ohne lästige Fußnoten und Literaturangaben offenlegen und zu weiterführender Lektüre anregen kann.

Fünftens schließlich, und das ist vielleicht die revolutionärste und folgenreichste Besonderheit des neuen Mediums: der „direkte Draht“ zum Leser, durch das zeitlich und räumlich unbegrenzte Kommunikationsfeld der Kommentare. Ich bekenne mich ausdrücklich zu jener Blogger-Fraktion, die ein „Netztagebuch“ nicht als echtes Weblog anerkennt, bei dem die Kommentarfunktion von vornherein unterdrückt wird.

Schon im ersten Massenkommunikationsmittel der Menschheitsgeschichte, in der Zeitung, fristete die Antwortmöglichkeit der Rezipienten traditionell, und fristet erst recht in der Gegenwart ein eher kümmerliches Schattendasein; nämlich in den Leserbriefspalten. Beim dominierenden Massenmedium des vorigen Jahrhunderts, dem Fernsehen, konnte von offener Kommunikation zwischen Sender und Empfänger schon gar nicht mehr die Rede sein. Übergangslos wurden aus den gehorsamen Befehlsempfängern der faschistischen Diktatur die passiven TV-Konsumenten der konsumistischen Demokratie.

Mit dem Aufkommen der Weblogs vor wenigen Jahren und ihrer weltweiten Verbreitung hat nun ein hohes Ideal der demokratischen Aufklärung eine unerwartete Chance auf seine späte Verwirklichung erhalten: das Ideal eines öffentlichen Dialogs freier Bürger; des von nahezu keiner Zensur und nur geringen ökonomischen Barrieren begrenzten Rechts auf unmittelbaren Meinungsaustausch.

Angesichts der hoffnungsvollen Aussicht, dass durch eine bloße technische Innovation im Internet das von Michel Foucault beschriebene diskursive Konzept der Parrhesia vielleicht doch noch eine Zukunft hat, erscheinen mir alle Risiken und Nebenwirkungen, die das Instrument Weblog mit Kommentaroption nach sich zieht, wie Schönheitsflecken in einem liebreizenden Antlitz. Dass mich Kommentare zu meinen Blogbeiträgen gelegentlich nerven, zumal wenn sie in Richtungen gehen, die weit von dem von mir angeschlagenen Thema wegführen, das nehme ich gern in Kauf, auch wenn ich mich als Kommentator in eigener Sache darüber beklage. Schließlich behält ja auch der „Quertreiber“ das Recht, meine vielleicht kleinliche oder gar selbstverliebte, an meinen Themenvorgaben „klebende“ Klage öffentlich zu monieren – und dem stillen Leser, der auf jeden Kommentar verzichtet, bleibt es unbenommen, sich in aller Stille seine persönliche Meinung zu bilden.

8 Responses to “Kommentare”

  1. Günter Landsberger Says:

    Du, lieber Manuel, schreibst hier in aller Deutlichkeit, “dass” Dich “Kommentare zu” Deinen “Blogbeiträgen gelegentlich nerven,” “zumal wenn sie in Richtungen gehen, die weit von dem von” Dir “angeschlagenen Thema wegführen”.
    Schließt Du dabei eigentlich ganz die Möglichkeit aus, dass Du selbst Unterschwelliges in Deine Beiträge einbeziehen könntest, die auch Gutwillige, eigentlich halbwegs vernünftig Denkende, mit Deinem in erster Linie angeschlagenen Thema verwechseln könnten?
    Sind es immer die anderen? Kann man nicht auch selber durch seine eigenen Formulierungen und seine besondere Vorgehensweise eine mögliche, obschon ungewollte Ursache von Missverständnissen sein?

  2. Revierflaneur Says:

    All das sei zugestanden. Er ist ja aufs Ganze gesehen auch durchaus gewünscht, oft genug erhellend und erheiternd: dieser muntere Spaziergang in die Kreuz und in die Quere, auf Holzwegen ins Dickicht, vom Hölzchen aufs Stöckchen und dann wieder zurück auf gesicherte Pfade in den Kommentaren. Und schließlich bin ich spätestens seit meiner ersten Lektüre von Sternes “Tristram Shandy” ein Liebhaber der Abschweifung. Wenn es mich gelegentlich doch einmal “nervt”, weil eine Fragestellung, die mir am Herzen lag und die ich im Anlass zu solchen Ausflügen gebenden Beitrag eigentlich, wie ich meinte, sehr deutlich fokussiert in den Blick genommen hatte, völlig in Vergessenheit zu geraten droht und ich zur Ordnung rufe – dann ist aber auch dies doch vielleicht verzeihlich, verständlich, menschlich und erträglich, oder?

  3. Günter Landsberger Says:

    Im Sinne Sternes, Diderots, Rabelais’ und Jean Pauls bin ich zufrieden. –

    Aber ich weiß eben auch, dass man nicht immer von vornherein sicher sein kann (darf?), ob der Themenvorgeber nicht manchmal den Sack schlägt und den Esel meint. Du also machst soetwas nie.

    Verständnis im übrigen habe ich doch meistens.

  4. Matta Schimanski Says:

    Ich hingegen bin mir ziemlich sicher, dass es Manuel von vornherein bewusst war, dass es diesen “Nebenschauplatz” geben würde.
    Was er vielleicht unterschätzt hat, war die Ausführlichkeit, mit der dort gestritten werden würde.

  5. Günter Landsberger Says:

    Liebe Frau Schimanski, noch beim Schreiben meines letzten Kommentars von vor mehr als einer Stunde wurde mir auf einmal bewusst, dass mein dortiger Ausdruck “Themenvorgeber” durchaus doppeldeutig ist. Und als mir dies bewusst geworden war, habe ich meine Wortwahl auch wachen Sinnes nicht mehr geändert.

  6. Revierflaneur Says:

    Im Sinne also eines nur vorgeblichen, vielleicht gar stets vergeblichen Vorgebers von Themen?

  7. Günter Landsberger Says:

    “stets vergeblich”? Quatsch. Warum denn gleich ins Extrem gehen?
    Es gibt auch Ausnahmen von der Regel. Und “doppeldeutig” lässt doch die Möglichkeit offen, dass ich mich getäuscht habe und wirklich nur die eine von Dir bekräftigte und Dir allein bewusste Intention zählt. Also soll’s so sein. Umso besser.
    Und: Kein Wort von mir mehr zu diesem Thema.

  8. Günter Landsberger Says:

    Um aber nicht wieder missverstanden zu werden: Die Regel, lieber Manuel, ist, dass Du die Themen gut und klar und eindeutig vorgibst im Sinne von “stellst” und “zum Kommentieren freigibst”. Das bin ich von Dir gewohnt. Nur deswegen wurde ich stutzig.

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