Listen

Beim Feilen an meinem morgigen Beitrag für Westropolis, in dem es um Sinn und Unsinn von Rankings in den Weblogs dieser Welt geht, kommt mir in den Sinn, dass ich ihn Max Frisch widmen sollte. In meinem persönlichen Ranking der für mich wichtigsten deutschen Schriftsteller der Nachkriegszeit steht Frisch zwar nicht sehr weit oben. Aber das zweite seiner beiden Tagebücher ist allein schon wegen der darin enthaltenen „Fragebögen“ auch heute noch lesens- und bedenkenswert.

Rankings gehören – wie Fragebögen, Bibliographien, Register, Inventarverzeichnisse usw. – zur großen, aus literaturwissenschaftlicher Sicht noch immer nicht hinreichend gewürdigten Textsorte der Listen. Das Ordnungsbedürfnis, das zur säuberlichen Auflistung von Büchern, Gegenständen, Fragen, Personen- oder Ortsnamen führt, wächst mit der Unüberschaubarkeit und grenzenlosen Ausdehnung unserer Erfahrungswelt. Die Liste ist der moderne Abwehrzauber gegen das Chaos, mit dem uns unsere sinnlichen Erlebnisse Tag für Tag überfordern.

Max Frischs elf Fragebögen (mit jeweils 25, insgesamt also 275 Fragen, in seinem Tagebuch 1966-1971) widmen sich Grundbestimmungen unserer menschlichen Existenz: der Ehe, dem Verhältnis von Mann und Frau, der Hoffnung, dem Humor, dem Verhältnis zum Geld und zu unserer Heimat, der Freundschaft, zu unseren Kindern. Frisch stellt Fragen wie „Befremdet Sie eine kluge Lesbierin?“ oder „Können Sie sich eine Ehe ohne Humor vorstellen?“ Heute fällt es leicht, beide Fragen mit einem klaren „Nein“ zu beantworten. Vor vierzig Jahren war es aber noch nicht selbstverständlich, diese Fragen überhaupt zu stellen.

In einem Ranking der klügsten und produktivsten Fragen unserer Zeit würden vermutlich etliche der von Max Frisch gestellten noch immer sehr weit vorn liegen. Für einen ambitionierten Interviewer, der es als Verhörspezialist der gerade angesagten Promischickeria weiter bringen will als der klägliche Durchschnitt seiner Mitbewerber, ist die Liste der 275 Fragen von Frisch jedenfalls eine unschätzbar wertvolle Inspirationsquelle.

Vorläufig auf Platz zwei meiner ewigen Ranking-Liste der lesenswertesten Interviews aller Zeiten steht schon seit einem guten Weilchen jenes Gespräch, das der geniale Interviewer Andre Müller 1996 mit Alice Schwarzer führte. Müllers Eingangsfrage lautete damals: „Sie kämpfen seit dreißig Jahren für die Freiheit der Frau. Ich frage, möchte der Mensch überhaupt frei sein?“ Und was dann folgte, war ein vierstündiges, überaus aufschlussreiches Desaster. Wenn man im Dialog nach Erkenntnis sucht, nicht unbedingt für sich, aber doch mindestens für den Rest der Welt, dann muss man vor allem verstehen, die richtigen Fragen zu stellen.

4 Responses to “Listen”

  1. Matta Schimanski Says:

    Ich habe versucht, dieses Interview zu lesen, habe es aber nicht aushalten können.

  2. Revierflaneur Says:

    Es wäre interessant zu erfahren, wann genau Deine Leidensfähigkeit an ihre Grenze stieß.

  3. Matta Schimanski Says:

    Dazu muss ich noch einmal lesen, und dazu muss ich mich erst aufraffen. Ich werde es tun, versprochen! Hab´ ein wenig Geduld.

  4. Matta Schimanski Says:

    Hier also die versprochene Auskunft:

    Ursprünglich hörte ich schon nach wenigen Seiten auf, als Frau Schwarzer den Fragen immer nur auswich und stattdessen versuchte, AM lächerlich zu machen. Es gelang ihr allerdings nur, sich selbst als dümmliche, selbstzufriedene Kuh darzustellen.
    Da ich sie nie besonders sympathisch fand, aber immer der Meinung war, sie habe ziemlich viel für die Frauen und die Frauenbewegung erkämpft, konnte ich das also nur ganz schlecht aushalten.

    Inzwischen habe ich das Interview, wie du weißt, ganz gelesen. Der anfängliche Eindruck verstärkte sich mit jeder Seite, aber irgendwann musste ich nur noch lachen: Genial, wie AM durch seine Fragen klar herausarbeitet, wann sie (im Gespräch mit ihm) wirklich hohles Gewäsch von sich gibt – meistens!

    An einigen Stellen sagt sie auch durchaus ernst zu nehmende Dinge (z. B. zu den Rollenzwängen), aber leider viel zu wenig.
    Und dass sie sich offensichtlich während des Interviews betrinkt, macht die Sache auch nicht besser!

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