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Hans Siemsen

Friday, 28. March 2008

Gestern sprach mich Beate Scherzer in der Buchhandlung proust an: ob ich den Autor Hans Siemsen kenne? „Hm! Schon mal gehört.“ Der Hintergrund: Im Verlag Das Arsenal (Berlin) erscheint dieser Tage der erste Band einer Werkausgabe von Siemsen. Ursprünglich war mal eine Veranstaltung bei proust mit dem Herausgeber Dieter Sudhoff geplant. Doch der ist, kaum älter als ich, im Juni vorigen Jahres plötzlich verstorben. Ob ich nicht vielleicht Lust hätte, mich mit dem Thema mal zu beschäftigen?

Heute hatte ich Zeit, mich über diesen Hans Siemsen (1891-1969) eingehender zu informieren. Der Mann scheint tatsächlich interessant zu sein. Er entstammt einer protestantischen Pfarrersfamilie aus Hamm. Seine älteren Geschwister Anna und August Siemsen saßen in den 1930er-Jahren als Abgeordnete für die SPD im Reichstag. Nach dem ersten Weltkrieg lebte Hans Siemsen als freier Schriftsteller in Berlin. Er schrieb für verschiedene avantgardistische und linke bis linksliberale Zeitschriften wie Pan, Franz Pfemferts Die Aktion und für die Weltbühne.

Vor fast vierzig Jahren ist Siemsen, nahezu völlig vergessen, in einem Heim der Arbeiterwohlfahrt in Essen gestorben. Nach der Flucht vor den Nazis nach Frankreich, vorübergehender Internierung, völliger Mittellosigkeit, einem kärglichen Dasein als Rundfunkjournalist in New York war er bei seiner Rückkehr in die Heimat Anfang der 1950er-Jahre ein zerstörter Mann, Alkoholiker – ein Pflegefall. (Schon mit Joseph Roth soll Siemsen im Pariser Exil gesoffen haben.)

Vor zwanzig Jahren brachte Michael Föster in seinem Essener Torso-Verlag eine dreibändige Ausgabe der Schriften von Hans Siemsen heraus. Diese verdienstvolle Edition ist heute selbst auf dem dank Internet so gut erschlossenen Antiquariatsmarkt eine Rarität; eher findet man noch die Erstausgaben seiner Bücher zu Preisen um 30 Euro. Der mittlerweile auch längst verstorbene Föster, der eine Villa gleich bei mir um die Ecke besaß, hat ein Magazin für Homosexuelle namens Torso herausgebracht. Auch Hans Siemsen war ein Schwuler.

Morgen muss ich mal in meinen Bücherkatakomben suchen. Irgendwo in einer tief vergrabenen Kiste müsste sich noch das eine oder andere Heft von Torso finden lassen. Mit viel Glück könnte eins dieser Hefte einen Aufsatz von Föster über Hans Siemsen enthalten. Das war schon immer so: Wenn ich das Gefühl habe, dass sich mir eine fremde Biographie entzieht, weil die Quellenlage dürftig ist; wenn ich ein vergangenes Leben zu meinen Füßen wie ein schmales Rinnsal versickern sehe – dann ist erst recht meine brennende Neugier geweckt.